Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung der Rentner. Versicherungspflicht bzw -freiheit. Rentenbezug. selbstständige Erwerbstätigkeit. Alleingesellschafter bzw -geschäftsführer einer GmbH. wirtschaftliche Bedeutung. Auslegung des Merkmals der Hauptberuflichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "hauptberuflich" ist bei Rentenbeziehern eine am Gesetzeszweck des § 5 Abs 5 SGB 5 orientierte Abwägung der selbständigen Erwerbstätigkeit gegenüber dem die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB 5 auslösenden Rentenbezug vorzunehmen.

2. Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung der selbständigen Erwerbstätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH kommt es wesentlich auf den Umfang der wirtschaftlichen Betätigung der GmbH an, die Erzielung von Gewinn und persönlichem Einkommen sind keine unverzichtbaren (notwendigen) Kriterien für die Qualifizierung einer selbständigen Tätigkeit eines Rentenbeziehers als hauptberufliche Tätigkeit.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.07.2015; Aktenzeichen B 12 KR 4/13 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 1. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner ausgeschlossen ist, weil er hauptberuflich selbstständig erwerbstätig ist.

Der 1941 geborene Kläger ist alleiniger Geschäftsführer und hält 100 % des Stammkapitals der XY. GmbH. Diese betreibt zurzeit an drei Standorten jeweils ein Modegeschäft und beschäftigt versicherungspflichtige und geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer. Seit 1966 ist der Kläger bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, seit April 2000 als hauptberuflich Selbstständiger freiwillig versichert. Seit dem 01.05.2006 bezieht er Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund und eine Witwerrente. Mit der Rentenantragstellung wurde die Vorversicherungszeit für die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) geprüft und als erfüllt angesehen. Die Beklagte führte jedoch in der Folgezeit die freiwillige Versicherung des Klägers als hauptberuflich Selbstständiger fort und berechnete die Beiträge einkommensabhängig. So stellte die Beklagte mit Beitragsbescheid vom 18.03.2009 auf der Grundlage des Steuerbescheids für das Jahr 2006, der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 33.507 Euro, aus Kapitalerträgen und Zinsen von 2.729 Euro und aus Renten von 8.892 Euro ausweist, für den Monat Dezember 2008 einen Krankenversicherungsbeitrag von 500,40 Euro und einen Beitrag zur Pflegeversicherung von 70,20 Euro fest.

Der Kläger beantragte am 16.04.2009 eine Überprüfung der Beiträge und wies darauf hin, dass er neben seinen Renten nur noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen erziele. Dazu legte er einen Gesellschafterbeschluss vom 03.04.2004 vor, nachdem er als Geschäftsführer der XY. GmbH angesichts der Ertragslage auf eine Gehaltszahlung verzichtet habe und stattdessen mit einer monatlichen Tilgung eines Gesellschafterdarlehns in Höhe von 1000 Euro einverstanden sei.

Mit Bescheid vom 13.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2009 lehnte die Beklagte eine Aufnahme des Klägers in die KVdR ab, da der Kläger in seiner Firma mindestens einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige und daher nach dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 18.04.1990 als hauptberuflich selbstständig erwerbstätig im Sinne des § 5 Abs. 5 SGB V gelte.

Dagegen erhob der Kläger am 30.11.2009 Klage zum Sozialgericht Kassel mit der Begründung, er erziele kein Einkommen von der XY. GmbH und sei für diese auch nur 12 bis 14 Stunden in der Woche tätig. Das Sozialgericht hörte den Kläger zu seiner Tätigkeit für die XY. GmbH in der mündlichen Verhandlung an und wies daraufhin mit Urteil vom 01.06.2011 die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die angefochtenen Bescheide seien nicht zu beanstanden. Der Kläger sei hauptberuflich für die GmbH tätig, da er als deren alleiniger Gesellschafter Arbeitgeberfunktion ausübe, indem er mehrere versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftige. Dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (Urteil vom 08.10.2009, L 5 KR 48/08) folgend sei es unbeachtlich, ob der Kläger als Geschäftsführer eine Vergütung erhalte. Es handele sich vorliegend gerade nicht um eine reine Geldbeteiligung am Stammkapital einer GmbH ohne aktives Tun, sondern der Kläger trage als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH im Ergebnis deren wirtschaftliches Risiko, vertrete die GmbH nach innen und außen und übe über seine Beteiligung beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft aus. Für die Kammer sei für den Tatbestand der hauptberuflich selbstständigen Tätigkeit auch kein zeitlicher Umfang der Tätigkeit vorauszusetzen; dies gelte zumindest in ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge