Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erklärung nach § 65 Abs 4 SGB 2 iVm § 428 SGB 3. Beantragung einer Altersrente im 60. Lebensjahr durch erwerbsfähige litauische Staatsangehörige. Leistungsausschluss wegen Bezugs der litauischen Altersrente

 

Orientierungssatz

1. Eine litauische Altersrente in Höhe von ca 173 Euro ist - unabhängig von ihrer Nichteignung zur Sicherung des Lebensunterhalts - grundsätzlich eine der deutschen Altersrente ähnliche öffentlich-rechtliche Leistung iS des § 7 Abs 4 S 1 SGB 2, die zum Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende führen kann.

2. Beantragt eine 1947 geborene, erwerbsfähige litauische Staatsangehörige - in der Annahme weiterhin Leistungen nach SGB 2 beziehen und einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können - ohne schriftliche Aufforderung im 60. Lebensjahr zur Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit gem § 2 SGB 2 die litauische Altersrente und gibt sie eine Erklärung ab, Arbeitslosengeld II gem § 65 Abs 4 SGB 2 iVm § 428 SGB 3 unter erleichterten Voraussetzungen beziehen zu wollen, so kann sie dem nach Rentenbewilligung eintretenden Leistungsausschluss gem § 7 Abs 4 SGB 2 Vertrauensschutzgründe nicht entgegenhalten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.05.2012; Aktenzeichen B 4 AS 105/11 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 1. Juli 2008.

Die 1947 geborene Klägerin ist litauische Staatsangehörige. Sie stand bei der Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II, zuletzt aufgrund der Bescheide vom 28. November 2007 und vom 15. Februar 2008. Am 13. Dezember 2007 hatte sie erklärt, Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehen zu wollen.

Am 29. Mai 2008 beantragte die Klägerin die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 1. Juli 2008. Durch Bescheid vom 22. Juli 2008 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil die Voraussetzungen für den Leistungsbezug wegen der Zuerkennung einer litauischen Altersrente entfallen seien.

In ihrem daraufhin bei dem Beigeladenen gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gab die Klägerin an, dass die ihr zuerkannte Altersrente 599,95 litauische Litas betrage; ihr Ehemann sei Bezieher einer Altersrente von 201,74 Euro sowie von Leistungen der Grundsicherung von 359,79 Euro. Durch Bescheid vom 26. August 2008 bewilligte der Beigeladene der Klägerin laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ab 1. Juli 2008 in Höhe von 479,10 Euro monatlich.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2008 legte die Klägerin am 15. August 2008 Widerspruch ein. Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit sähen vor, dass im Falle der Gewährung einer ausländischen Rente, die deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht erfolge, zu prüfen sei, ob der Hilfebedürftige weiterhin gewillt sei, eine Beschäftigung aufzunehmen. Über die Existenz einer solchen Prüfung sei sie - die Klägerin - nicht informiert worden. Sie sei weiterhin bereit, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Durch Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Klägerin sei ab 12. Juli 2007 eine litauische Altersrente zuerkannt worden; hierbei handele es sich um eine Leistung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Sie habe schriftlich gegenüber der Beklagten erklärt, dass sie gar keine Beschäftigung mehr aufnehmen und Arbeitslosengeld II unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II i. V. m. § 428 SGB III beziehen wolle. An diese Erklärung sei die Klägerin gebunden. Schon aus diesem Grunde finde die von ihr angeführte Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit keine Anwendung.

Die dagegen am 9. Februar 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Gerichtsbescheid vom 4. Juni 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass einer Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II § 7 Abs. 4 SGB II entgegenstehe. Danach erhalte Leistungen nach diesem Buch nicht, wer eine Rente wegen Alters beziehe. Da die Klägerin entsprechend ihrer Erklärung vom 13. Dezember 2007 Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 SGB III bezogen habe, träfen die von ihr in dem Widerspruchsschreiben genannten Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zur Durchführung der Bestimmungen des § 7 Abs. 4 SGB II in ihrem Fall nicht zu. An ihre Erklärung vom 13. Dezember 2007 sei die Klägerin gebunden, da die Frist von drei Monaten, innerhalb der diese Erklärung ohne Folgen widerrufen w...

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