Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. berufsbedingte Lungenkrebserkrankung. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. zweistufige Kausalitätsprüfung. wesentliche Mitursache. Wahrscheinlichkeit. synkanzerogene Wirkung. Schweißrauchbelastung. kanzerogener Arbeitsstoff. Asbest, Chrom, Nickel. Verdoppelungsrisiko. langjähriger Nikotinkonsum in Höhe von 30 Packungsjahren. Bronchialkrebs. Schweißer

 

Orientierungssatz

1. Zur Nichtanerkennung eines Bronchialkarzinoms eines Stahlwerkarbeiters mit langjährigem Nikotinkonsum (30 Packungsjahre), der während seiner Tätigkeit einer Schweißrauchbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren, einer Nickelbelastung im Umfang von 196,04 Nickeljahren sowie einer Asbestfaserbelastung von 12,66 Faserjahren ausgesetzt war, als Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1103.

2. Eine Dosis von unter 1000 Chrom-VI-Jahren ist zur Verdoppelung des Lungenkrebserkrankungsrisikos durch Chromateinwirkung auch nach den neuesten Erkenntnissen der arbeitsmedizinischen Wissenschaft nicht gesichert.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.03.2017; Aktenzeichen B 2 U 6/15 R)

 

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Mai 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen die erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. wegen der Folge einer Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) beim Versicherten. Die Klägerin ist die Witwe des Versicherten B. A., der 1952 geboren war und 2013 verstorben ist. Sie hat - wie im Erörterungstermin vom 21. August 2013 angegeben - mit dem Versicherten im Jahr vor seinem Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt.

Der Versicherte hatte ab 1966 eine Ausbildung zum Maschinenschlosser absolviert und war als solcher bis 1972 in den E. Eisenwerken in E-Stadt tätig gewesen. Nach Ableistung des Wehrdienstes arbeitete er ein halbes Jahr als LKW-Fahrer bei einer Spedition und sodann von Juni 1974 bis Juni 1976 in der Montage von Aluminiumfenstern bei der Firma J. Metallbau in A-Stadt. Anschließend war er bis Februar 1977 bei der Firma K. in K-Stadt im Apparatebau tätig, bevor er von März 1977 bis Ende 1985 beim Stahlwerk der Firma L. in E-Stadt beschäftigt war. Von Januar 1986 an arbeitete er bei der Firma M., M-Werke, in M-Stadt als Meister im Bereich der Endmontage beim Zusammenbau von Stahlschränken. Eine 2004 aufgetretene Lungenkrebserkrankung führte er auf seine Tätigkeit im Stahlwerk von 1977 bis 1985 zurück.

Der Versicherte litt seit den 80er Jahren an einer chronischen Sinusitis und war deswegen 1983, 1992 und 2000 operiert worden. Wegen einer chronischen Sinusitis und Bronchitis sowie Bandscheibenbeschwerden der gesamten Wirbelsäule absolvierte er vom 30. Januar bis 24. Februar 2001 ein Heilverfahren auf Kosten der BfA in der Schwarzbergklinik Bad Rappenau, wo er anamnestisch angegeben hatte, etwa 20 Zigaretten täglich zu rauchen (Heilverfahrensentlassungsbericht in der Akte des Versorgungsamtes Gießen). Laut Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker-Krankenkasse Düsseldorf vom 21. Juni 2009 war er deren Mitglied seit Anfang 1987; das sinubronchiale Syndrom hatte beim Versicherten wiederholt zu Arbeitsunfähigkeitszeiten ab März 1995 geführt. Am 27. Juli 2004 suchte er nach einer Erkältung und einem seit 4 Wochen andauernden Husten aufgrund einer Empfehlung des Hausarztes O. den Internisten und Lungenfacharzt Dr. N. auf, der neben einer Raucherbronchitis zudem eine obstruktive Lungenerkrankung beim Versicherten feststellte und auf dem Röntgenbild einen tumorverdächtigen gut haselnussgroßen Herd im linken Oberfeld beschrieb. Der Versicherte hatte Dr. N. gegenüber erklärt, seit 30 Jahren 20-30 Zigaretten täglich geraucht zu haben (Bericht des Dr. N. vom 20. Juli 2005 an die Beklagte). Der Versicherte wurde am 26. August 2004 bei Dr. P. vorstellig, Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie des HSK-Klinikums in Wiesbaden, der den Tumorverdacht durch CT bestätigte. Der Versicherte wurde sodann ab 1. September 2004 stationär in der Klinik aufgenommen, wo am 7. September 2004 im Rahmen einer Thorakotomie mit erweiterter Lungenoberlappenresektion und Entfernung von Lymphknoten der Lungentumor entfernt wurde, der histologisch als peripher großzelliges, neuroendokrines Karzinom im Stadium II a bewertet wurde. Die weiteren Diagnosen in der Klinik lauteten auf chronisch obstruktive Lungenerkrankung bei Zustand nach Nikotinmissbrauch. Der Klinikaufenthalt endete am 5. Dezember 2004. Die Tumornachsorge übernahmen Dres. Q. und R., die neben dem Bronchialkarzinom eine obstruktive Lungenerkrankung diagnostizierten bei Zustand nach Nikotinmissbrauch und langjährigem Nikotinkonsum im Umfang von 30 Packungsjahren und ab 1. März bis Juni 2005 eine Chemotherapie in 4 Zyklen durchführten. Im April 2007 nahm der Ver...

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