Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. versicherungspflichtige Beschäftigung. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtlichen Vergleich. Verzicht auf Vergütungsanspruch. fehlender Wille der Arbeitsvertragsparteien am Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses. keine Fiktion gem § 7 Abs 3 SGB 4

 

Orientierungssatz

1. Besteht der Wille der Arbeitsvertragsparteien zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr, dann endet das eine Anwartschaft begründende Versicherungspflichtverhältnis im beitragsrechtlichen Sinn auch bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem tatsächlichen Ende der Beschäftigung, also dann, wenn Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt tatsächlich nicht mehr erbracht werden und der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet oder seine faktische arbeitsrechtliche Verfügungsmöglichkeit nicht wahrnimmt.

2. Die Fiktion des Fortbestehens des beitragsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses gem § 7 Abs 3 SGB 4 greift nicht, da keine kürzere leistungslose Unterbrechung eines fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses vorliegt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.11.2021; Aktenzeichen B 11 AL 8/20 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Juni 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Die 1981 geborene Klägerin meldete sich am 11. Dezember 2018 (Bl. 134 der Verwaltungsakte) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Zuvor stand sie vom 8. Februar bis 14. Juli 2017 (Bl. 137 der Verwaltungsakte), vom 26. März bis 31. Mai 2018 (Bl. 149 der Verwaltungsakte), vom 18. Juni jedenfalls bis 31. August 2018 (Bl. 153, 155, 156 der Verwaltungsakte) und vom 15. Oktober bis zum 24. November 2018 (Bl. 130 der Verwaltungsakte) in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.

Durch Bescheid vom 9. Januar 2019 (Bl. 162 der Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Begründung ab, sie sei in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung weniger als zwölf Monate, nämlich nur 340 Tage, versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Hiergegen richtete sich der am 17. Januar 2019 (Bl. 166 der Verwaltungsakte) erhobene Widerspruch. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erläuterte die Beklagte durch Schreiben vom 17. Januar 2019 (Bl. 168 der Verwaltungsakte), dass die Klägerin vom 8. Februar bis 14. Juli 2017 157 Tage beschäftigt war, vom 26. März bis 31. Mai 2018 67 Tage, vom 18. Juni bis 31. August 2018 75 Tage und vom 15. Oktober bis 24. November 2018 41 Tage, insgesamt also 340 Tage. Durch Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2019 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach dem Eingangsstempel des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist dieser Widerspruchsbescheid bei diesem am 19. Februar 2019 (Bl. 5 der Gerichtsakte) eingegangen.

Hiergegen richtet sich die am 19. März 2019 (Bl. 1 der Gerichtsakte) beim Sozialgericht Kassel erhobene Klage. Zur Begründung trug die Klägerin vor, sie sei nicht bis 31. August 2018, sondern bis 30. September 2018 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Das Nichtbestehen eines Vergütungsanspruchs im September 2018 ändere daran nichts. Zur Begründung legte die Klägerin einen arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 15. März 2019 (Bl. 178 der Verwaltungsakte) vor, der beim Arbeitsgericht Kassel zum Aktenzeichen 2 CA 28/19 geschlossen wurde, wonach sich die Arbeitsvertragsparteien einig seien, dass das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 30. September 2018 ende, wobei für den Monat September 2018 keinerlei Vergütungsansprüche bestünden. Somit sei § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) anzuwenden, wonach eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend gelte, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauere, jedoch nicht länger als einen Monat. Somit habe die Versicherungspflicht für die Dauer der Arbeitsunterbrechung ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortbestanden. Damit sei aber auch die Anwartschaftszeit erfüllt.

Die Klägerin beantragte, den Bescheid vom 9. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab 11. Dezember 2018 in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Die Beklagte trat dem entgegen. Zur Begründung ihres Antrags verwies die Beklagte auf die Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Mit Urteil vom 3. Juni 2019 hob das Sozialgericht Kassel den Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2019 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Arbeitslosengeld ab 11. Dezember 2018 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die zulässige Klage sei begründet.

Der Beschei...

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