Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlange PKH-Vergütungsfestsetzung. Entschädigungsklage. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 6 Monaten. Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge. Besorgnis der Verzögerung. Kosteninteresse des Rechtsanwalts. Geldentschädigung. Billigkeit. Herabsetzung des Regelbetrags auf 20 Euro pro Monat. Bindungswirkung eines begrenzten Klageantrags. sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei dem PKH-Festsetzungsverfahren handelt es sich um ein Gerichtsverfahren nach § 198 Abs 6 Nr 1 GVG.

2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen. In einen PKH-Festsetzungsverfahren ist eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von sechs Monaten als angemessen anzusetzen.

3. Es besteht ein Entschädigungsanspruch in Geld, wenn nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer nicht ausreichend für die erforderliche Wiedergutmachung ist.

4. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erscheint dem Senat ein Entschädigungsbetrag von 20,00 Euro pro Monat der Verzögerung als angemessen.

 

Orientierungssatz

1. Ist ein Gerichtsverfahren bereits seit 8 Monaten anhängig und sind seit 6 Monaten keine gerichtliche Aktivitäten erkennbar, kann Anlass zur Besorgnis bestehen, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird, und eine Verzögerungsrüge erhoben werden (vgl § 198 Abs 3 S 2 Halbs 1 GVG).

2. Eine Herabsetzung des pauschalen Regelbetrags in § 198 Abs 2 S 3 GVG kann sich auch aus der Bindungswirkung des klägerischen Antrags nach § 123 SGG ergeben ("ne ultra petita").

 

Normenkette

GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Sätze 1-4, Abs. 3 S. 2, Abs. 4 Sätze 1, 3, Abs. 5 Sätze 1-2, Abs. 6 Nr. 1, § 200 S. 1, § 201; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1, Art. 13; BGB §§ 254, 288 Abs. 1, § 291 S. 1; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 10, § 54 Abs. 5, §§ 88, 123, 197 Abs. 1 S. 1, § 202 S. 2

 

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 6 AS 279/16 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 220 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 6 AS 279/16 geführten Prozesskostenhilfe (PKH) -Verfahrens.

Der Kläger ist Anwalt; er vertrat eine Mandantin in einem Rechtsstreit um die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vor dem Sozialgericht Kassel. Die Mandantin beantragte am 3. Mai 2016 PKH, diese wurde mit Beschluss vom 2. März 2017 unter Beiordnung des Klägers bewilligt (Bl. 42 PKH-Heft). Ein am 29. August 2017 beantragter Vorschuss wurde am 6. September 2017 in Höhe von 142,80 Euro festgesetzt. Das Hauptsacheverfahren endete am 25. April 2018 durch Vergleich. In dem Vergleich verpflichtete sich der Beklagte zur Übernahme der hälftigen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin (Bl. 124 S 6 AS 279/16).

Der Kläger beantragte am 4. Mai 2018 die Kostenfestsetzung (Bl. 130 S 6 AS 279/16) und PKH-Festsetzung in Höhe von 912,84 Euro (PKH-Heft). Die Urkundsbeamtin bat mit Schreiben vom 5. Juni 2018 den Beklagten um Stellungnahme zur Kostenerstattung und teilte mit, dass ein PKH-Festsetzungsantrag i.H.v. 912,84 Euro bei Gericht eingegangen sei, der allerdings aktuell nicht bearbeitet werde (PKH-Heft).

Am 13. Juli 2018 nahm der Beklagte Stellung (Bl. 138 S 6 AS 279/16). Nach Zahlung durch den Beklagten erklärte der Kläger die Kostenfestsetzung am 18. Juli 2017 für erledigt und bat um PKH-Festsetzung (Bl. 140 S 6 AS 279/16).

Mit Schreiben vom 22. Januar 2019, eingegangen am 23. Januar 2019, bat er um Sachstandsmitteilung hinsichtlich der PKH-Festsetzung und erhob vorsorglich Verzögerungsrüge (Bl. 145 S 6 AS 279/16).

Der Kläger hat am 25. Oktober 2019 Klage beim LSG eingereicht, die Klageschrift wurde dem Beklagten am 19. November 2019 zugestellt (Bl. 27 GA).

Am 21. Januar 2020 erfolgte die Festsetzung der PKH in Höhe von 603,44 Euro (PKH-Heft S 6 AS 279/16).

Einem Vergleichsvorschlag des Gerichts ist der Beklagte entgegengetreten.

Der Kläger ist der Ansicht, nach § 198 Abs. 1 GVG sei eine Entschädigung bei einer unangemessenen Dauer von Gerichtsverfahren zu leisten.

Mit Blick auf die Entscheidung des LSGs Baden-Württemberg vom 3. Juli 2019 (L 2 SF 1441/19 EK AS) und dem auch vorliegend allenfalls durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad des PKH-Festsetzungsverfahrens dürfte hier nach drei Monaten Untätigkeit des Gerichts der Anspruch auf die geltend gemachte Entschädigung bestehen. Die Untätigkeit sei hier zu Gunsten des Beklagten nach drei Monaten nach Eingang des Schriftsatzes vom 18. Juli 2018 ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge