Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auszahlungs- bzw Rückzahlungspflicht eines Arbeitgebers ausländischer Arbeitnehmer gemäß BKGG § 20 Abs 2 beruht auf einer "Überbürdung" staatlicher Verwaltungsaufgaben auf Private und begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zum überweisenden ArbA.

2. Unterläßt der Arbeitgeber die Auszahlung des ihm überwiesenen Kindergeldes an einen ausländischen Arbeitnehmer, so ist er zur Rückzahlung an das ArbA verpflichtet. Eine Aufrechnung mit dem Kindergeldanspruch des ausländischen Arbeitnehmers wegen Vorschußleistungen an diesen ist mangels Gegenseitigkeit der Forderungen nicht möglich.

 

Verfahrensgang

SG Kassel (Urteil vom 08.04.1975)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. April 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt in K. ein Bauunternehmen. Seit Mai 1971 war bei ihr der türkische Staatsangehörige A. O. - verheiratet, 7 Kinder - als Arbeitnehmer beschäftigt. Das dem Arbeitnehmer O. zustehende Kindergeld wurde von der Beklagten jeweils an die Klägerin überwiesen. Die Überweisungen, jeweils für 2 Monate in Höhe von 710,- DM - für die Monate Januar/Februar und März/April 1973 - erfolgten mit den Betriebszahllisten vom 16. Februar 1973 und 13. April 1973.

In der formularmäßigen Auszahlungsbescheinigung vom 12. Mai 1973 gab die Klägerin gegenüber der Beklagten an, daß sie den Betrag an Kindergeld für den Arbeitnehmer O. für die Monate März/April 1973 (710,- DM) erhalten habe. Da sie (die Klägerin) Gegenforderungen gegen O. gehabt habe, habe sie diese gegen den Kindergeldanspruch aufgerechnet. O. sei wegen Vertragsbruchs fristlos aus der Firma ausgeschieden und halte sich zur Zeit angeblich in B. auf.

Der Ermittlungsbeamte des Arbeitsamtes Kassel, H., führte in seinen Berichten vom 29. Juni 1973 aus, ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Klägerin, B., und dessen Ehefrau E. B. habe ergeben, daß der Arbeitnehmer O. am 1. Februar aus dem Betrieb ausgeschieden sei. Der Geschäftsführer B. habe die Rückzahlung des Kindergeldbetrages für die Monate März/April 1973 abgelehnt.

In der auf den A. O. ausgestellten Lohnsteuerkarte 1973 ist eine Beschäftigung bei der Klägerin vom 1. Januar bis 13. Februar und bei den M. Werken GmbH, B., vom 19. Februar bis 9. März 1973 eingetragen. Über die angeführte Beschäftigung des Arbeitnehmers O. erteilten die M. Werke der Beklagten eine Bescheinigung vom 12. September 1973. O. bescheinigte der Beklagten gegenüber am 25. Oktober 1973 schriftlich, er habe das Kindergeld in Höhe von 710,- DM für die Monate März/April 1973 nicht erhalten. O. war durch die Klägerin vom 6. November 1972 bis 7. Februar 1973 zur Allgemeinen Ortskrankenkasse K. gemeldet (Auskunft der AOK K. an das Arbeitsamt Kassel vom 19. April 1973).

Die Beklagte setzte durch Bescheid vom 13. August 1973 die Höhe des von der Klägerin zurückzuerstattenden Kindergeldes auf 710,- DM fest. Mit dem Widerspruch hiergegen wurde seitens der Klägerin angegeben, sie habe diesen Kindergeldbetrag an den Arbeitnehmer O. “ausgezahlt”. O. habe gekündigt und zum 28. Februar 1973 seine Arbeitspapiere zwecks Rückkehr in die Türkei verlangt. Er habe jedoch anschließend bei der Klägerin bis 6. April 1973 weitergearbeitet. Die ihm bereits ausgehändigten Arbeitspapiere habe er der Klägerin nicht mehr zurückgegeben, weil er sie angeblich einem Steuerberater übergeben habe. O. sei des Lesens und Schreibens unkundig, weshalb keine Quittung über die “Auszahlung” des Kindergeldbetrages für die Monate März/April 1973 ausgestellt worden sei. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg; er wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1974 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage wiederholte die Klägerin die Behauptung, das Kindergeld sei an O. ausgezahlt worden. Die anderslautende Bescheinigung des O. treffe nicht zu.

Das Sozialgericht Kassel wies durch Urteil vom 8. April 1975 die Klage ab. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, das Sozialgericht sei sachlich zuständig, weil der streitige Rückforderungsanspruch öffentlich-rechtlicher Natur sei. Die Klägerin sei rückerstattungspflichtig, weil sie das für März/April 1973 überwiesene Kindergeld zu Unrecht erhalten habe. O. sei in diesen Monaten nicht mehr bei ihr beschäftigt gewesen, wie sich aus den Eintragungen in die Lohnsteuerkarte und der Abmeldung des Arbeitnehmers bei der AOK K. zum 1. Februar 1973 ergebe. Die Behauptung der Klägerin, O. sei bis 6. April 1973 bei ihr beschäftigt gewesen, treffe nicht zu. Die Klägerin habe zumindestens grob fahrlässig nicht gewußt, daß ihr das Kindergeld für O. zu Unrecht überwiesen worden sei. Ihre Erstattungspflicht bestehe auch dann, wenn sie das Kindergeld - wie hier behauptet - an den Arbeitnehmer O. ausgezahlt haben sollte. Auf den Wegfall der Bereicherung könne sie sich nicht berufen. Das Sozialgericht ließ die Berufung zu.

Die Berufung der Klägerin ging am 6. Mai 1975 beim Sozialgeri...

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