Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Unterbrechung des Versicherungspflichtverhältnisses durch Arbeitslosigkeit. Wegfall der Befreiung bei Wechsel in ein neues Beschäftigungsverhältnis. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 12 KR 19/17 R

 

Orientierungssatz

Eine Befreiung gemäß § 8 Abs 1 SGB 5 ist auf die Dauer des Sachverhalts begrenzt, der das Befreiungsrecht begründet. Die Befreiung wirkt tatbestandsbezogen (vgl BSG vom 25.5.2011 - B 12 KR 9/09 R = SozR 4-2500 § 8 Nr 3 = juris RdNr 17 mwN). Insofern ist von einem Wegfall der wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze in einem Beschäftigungsverhältnis ausgesprochenen Befreiung von der hierdurch eingetretenen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 5 infolge eines Arbeitgeberwechsels auszugehen.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. März 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.114,74 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind Beitragsnachforderungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 3.114,74 € streitig.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das unter anderem europaweite Eil-/Sonder- und Messetransporte zum Gegenstand hat. Der Beigeladene zu 1. war in der Zeit vom 16. Januar 2012 bis 15. November 2012 für die Klägerin tätig.

Zuvor war der Beigeladene zu 1. bei der Firma D. L. GmbH beschäftigt gewesen. Mit Bescheid vom 28. Februar 1994 befreite ihn die Beigeladene zu 2. antragsgemäß nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) mit Wirkung zum 1. Januar 1994 wegen der Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze von der Krankenversicherungspflicht.

Die Beklagte führte bei der Klägerin hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31.12.2012 eine Betriebsprüfung durch und hörte sie mit Schreiben vom 22. Oktober 2013 zur beabsichtigten Beitragsnachforderung i.H.v. 3.114,74 € an. Der Beigeladene zu 1. sei bei der Klägerin im Jahre 2012 beschäftigt und gesetzlich kranken- und pflegeversicherungspflichtig gewesen. Entsprechende Versicherungsbeiträge seien jedoch von der Klägerin nicht abgeführt worden. Das Arbeitsentgelt des Beigeladenen zu 1. habe stets unter 2.000 € monatlich gelegen. Ein Befreiungstatbestand liege nicht vor. Die Beigeladene zu 2. habe zwar am 28. Februar 1994 aufgrund einer anderen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. eine Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausgesprochen. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011 (B 12 KR 9/09 R) wirke sich eine solche Befreiung jedoch nur auf das jeweilige Versicherungspflichtverhältnis aus. Vorliegend sei die Versicherungspflicht hingegen aufgrund abhängiger Beschäftigung in der Zeit von November 2011 bis 15. Januar 2012 durch Arbeitslosigkeit unterbrochen worden, so dass die Befreiung nicht mehr gültig sei.

Die Klägerin wandte hiergegen ein, dass mit dem Befreiungsbescheid vom 28. Februar 1994 eine “unwiderrufliche Befreiung„ vorliege. Der Beigeladene zu 1. sei in der streitigen Zeit privat kranken- und pflegeversichert gewesen. Außerdem habe im Januar 2012 das für die Klägerin tätige Steuerbüro E. auf eine Nachfrage bei der Beigeladenen zu 2. die Auskunft erhalten, dass bei dem Beigeladenen zu 1. weiterhin Versicherungsfreiheit bestehe. Durch den Befreiungsbescheid sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Es sei unbillig und unverhältnismäßig, die Klägerin mit einer Beitragsnachforderung in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Mai 2011 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2014 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Beitragsnachforderung i.H.v. 3.114,74 € fest. Über die Begründung im Anhörungsschreiben hinaus führte sie aus, dass es auf eine bestehende private Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1. nicht ankomme. Ferner könne eine auf telefonische Nachfrage der Steuerberaterin E. erteile Telefonauskunft der Beigeladenen zu 2. gegenüber der Klägerin keinen Vertrauenstatbestand begründen; auch habe diese keine Beweiskraft im Rahmen der Betriebsprüfung.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2014 zurück. Ergänzend zu ihrer bisherigen Begründung führte sie an, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, bei Beginn der Tätigkeit eines Arbeitnehmers eine Beurteilung der Versicherungspflicht vorzunehmen. Dabei sei auch die Aktualität einer 18 Jahre alten Befreiung zu prüfen. Mit Beginn der Arbeitslosigkeit unter Bezug von Arbeitslosengeld seitens des Beigeladenen zu 1. im November 2011 habe sich der Befreiungsbescheid erledigt. Eine Aufhebung des Bescheides sei nicht erforderlich.

Am 29. September 2014 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhobe...

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