Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.10.1994; Aktenzeichen S-10/U-3053/90)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.01.1997; Aktenzeichen 2 RU 7/96)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter des am 27. Oktober 1907 geborenen und am 14. Dezember 1985 an den Folgen eines im Juli 1985 diagnostizierten kleinzelligen Bronchialkarzinoms verstorbenen Versicherten A. G. Streitig ist, ob die Erkrankung gemäß § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist und die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer während des erstinstanzlichen Verfahrens am 18. Januar 1993 ebenfalls verstorbenen Mutter B. G., Witwe und Rechtsnachfolgerin des Versicherten, von der Beklagten Hinterbliebenenrente sowie Verletztenrente verlangen kann, die vom Versicherten noch zu Lebzeiten im Oktober 1985 beantragt worden waren.

Der Versicherte war von 1948 bis Dezember 1972 Inhaber eines kleinen Tiefbauunternehmens mit durchschnittlich ca. 10 Beschäftigten, das er mit Wirkung vom 1. Januar 1973 an seinen Schwiegersohn übergab. Danach arbeitete er noch etwa zwei Jahre auf verschiedenen Baustellen, indem er diese beaufsichtigte und notfalls auch selbst Hand anlegte. Nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten war er zumindest in den Jahren 1954 bis 1970 bei Straßenbauarbeiten zeitweise bzw. schätzungsweise insgesamt 3.730 bis 3.840 Stunden den Dämpfen von auf 100 bis 120° C erhitztem Steinkohlenteer ausgesetzt gewesen. Bis 1954 waren bei Straßenbauarbeiten Steinkohlenteer und Bitumenemulsion im Kaltverfahren aufgetragen worden; ab Ende der 60er Jahre bzw. ab 1970 wurde Steinkohlenteer durch Bitumen ersetzt.

Bis etwa September 1985 hatte der Versicherte täglich ca. 10 Zigaretten geraucht und litt seit vielen Jahren an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis mit erheblichen Ventilationsstörungen. Sein im Unternehmen schon seit 1961 mitarbeitender Schwiegersohn (Ehemann der Klägerin) war im September 1982 im Alter von 43 Jahren ebenfalls an den Folgen eines Bronchialkarzinoms verstorben. Eine Entschädigung dieses Erkrankungsfalls wurde u.a. unter dem Gesichtspunkt des § 551 Abs. 2 RVO nach Einholung bzw. Beiziehung von in anderen Verfahren erstatteten zahlreichen arbeitsmedizinischen Gutachten und Stellungnahmen des Prof. Dr. W. Universitätskliniken G. des Prof. Dr. V., Universitätskliniken E., des Prof. Dr. K., Universitätskliniken Mainz, und eines Gutachtens des Prof. Dr. M. vom 17. Dezember 1990 sowie diverser Stellungnahmen des Landesgewerbearztes und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) rechtskräftig abgelehnt (Bescheide der Beklagten vom 5. September 1983 und 28. März 1984; Urteile des Sozialgerichts Frankfurt am Main – SG – vom 4. November 1986 – S-8/U-109/84 – und des Hessischen Landessozialgerichts – HLSG – vom 28. Oktober 1992 – L-3/U-47/87 –; Beschluß des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. Juni 1993 – 2 BU 212/92 –).

In dem von der Beklagten im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten vom 9. Juli 1987 des Prof. Dr. V./Priv.-Doz. Dr. H. wurden die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO gleichfalls verneint. Zwar sei unbestritten, daß der Versicherte der dampf- und staubförmigen Einwirkung von Teer und Bitumen in einem höheren Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei. Bislang gebe es jedoch keine epidemiologisch gesicherten Hinweise dafür, daß Beschäftigte im Straßenbau einem erhöhten Risiko für Atemwegskarzinome unterlägen. Daß auch Steinkohlenteerprodukte in der MAK-Liste als gesichert krebsgefährdend in der Gruppe A I ausgewiesen seien und schon seit Jahrzehnten teerinduzierte Hautkrebse Bestandteil der BK-Liste seien, besage nichts über ein signifikant häufigeres Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Straßenbauarbeitern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung. Ein gelegentlich praktizierter Vergleich mit der Gruppe der Dachdecker oder der Kokereiarbeiter/Ofenblockarbeiter sei wissenschaftlich unzulässig. Bei Dachdeckern sei oft eine zusätzliche Asbeststaubbelastung eruierbar. Hinsichtlich der Kokereiarbeiter, für die die Aufnahme bösartiger Erkrankungen der Atemwege in die Liste der BK'en empfohlen worden sei, sei festzustellen, daß Kokereigase aufgrund der unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen mit Teerdämpfen im Straßenbau nicht vergleichbar seien.

Demgegenüber vertraten der Landesgewerbearzt Dr. B. in Stellungnahmen vom 24. September 1987 und 26. September 1989 sowie Prof. Dr. W. im Gutachten vom 6. April 1989 die Auffassung, daß die arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Ergebnisse über ein erhöhtes Bronchialkarzinomrisiko von Kokereiarbeitern auch auf die Verhältnisse im Bereich des Straßenbaus bei Verwendung von Steinkohlenteer und Teerbitumen als Bindemittel übertragbar seien, wi...

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