Entscheidung zur Frage der Berechnung des Regellohns
Leitsatz (amtlich)
Das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gewährte Gehalt ist für die Berechnung des Regellohnes für die Gewährung des Krankengeldes auch dann maßgebend, wenn das nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit fortgezahlte Gehalt höher ist.
Normenkette
RVO §§ 180, 182
Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Urteil vom 15.09.1970) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. September 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Krankengeldes.
Der Kläger – Angestellter des Statistischen Landesamtes – wurde am 21. Oktober 1969 arbeitsunfähig krank. Sein Gehalt wurde ihm bis zum 20. April 1970 weitergezahlt. In der Folgezeit gewährte die Beklagte Krankengeld unter Zugrundelegung des Arbeitsentgeltes für September 1969 (953,– DM brutto, 763,73 netto).
Da das Gehalt des Klägers ab 1. Januar 1970 um monatlich 100,– DM erhöht wurde, legte dieser gegen die Festsetzung des Krankengeldes Widerspruch ein mit der Begründung, daß das Krankengeld nach dem höheren Gehalt berechnet werden müsse. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Mit seiner Klage verfolgte der Kläger seinen Anspruch auf Berechnung des Krankengeldes nach den Gehaltsbezüge des Monats März 1970 weiter. Die Beklagte trug demgegenüber vor, daß für die Berechnung des Krankengeldes das Gehalt des der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen Monats, hier September 1969, zugrunde zu legen sei.
Durch Urteil vom 15. September 1970 hat das Sozialgericht Wiesbaden der Klage stattgegeben mit der Begründung, nach § 182 Abs. 4 und 4 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei das Krankengeld nach dem entgangenen regelmäßigen Arbeitsentgelt, also nach dem Einkommen, das der Kläger nach Fortdauer seines Arbeitsverhältnisses während der Krankheit erzielt hätte, zu berechnen. Die Vorschrift des § 182 Abs. 5 RVO sei demgegenüber eine Ausnahmeregelung, die die Überlegung aufdränge, ob die Sonderstellung für Lohnempfänger dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspreche. Gegenüber diesen aus dem Gesetzeswortlaut gewonnenen Erkenntnissen könnten auch Praktikabilitätserwägungen nicht überzeugen. Die Satzungsbestimmungen der Beklagten stünden der Entscheidung ebenfalls nicht entgegen, da sie dem Gesetz widersprächen und damit unbeachtlich seien.
Gegen dieses der Beklagten am 16. November 1970 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. Dezember 1970 beim Hess. Landessozialgericht eingelegte Berufung, mit der die Beklagte die Rechtsauffassung des Sozialgerichts bekämpft. Sie trägt vor, daß nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes der für das Krankengeld maßgebende Grundlohn nach den Verhältnissen zur Zeit des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit zu berechnen sei. Dies gelte sowohl für Lohn wie auch für Gehaltsempfänger. Die Festsetzung des dem Kläger gewährten Krankengeldes entspreche auch der Beklagten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. September 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die an sich statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.
Mit Recht hat die Beklagte das Krankengeld des Klägers nach dem Gehalt berechnet, das in dem der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenen Monat (September 1969) gewährt wurde und die zwischenzeitliche Gehaltserhöhung außer Betracht gelassen. Aus dem Wortlaut des hier maßgebenden § 183 Abs. 2 RVO geht nicht eindeutig hervor, ob das Krankengeld das während der Arbeitsunfähigkeit entgangene Arbeitsentgelt ganz oder teilweise ersetzen soll (Lohnausfallprinzip) oder ob das Krankengeld nach einem vor der Arbeitsunfähigkeit liegenden Lohnzahlungszeitraum zu berechnen ist (Referenzperiodenprinzip). Für die erste Ansicht spricht § 182 Abs. 4 RVO, wonach als Regellohn das wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangene regelmässige Arbeitsentgelt anzusehen ist. Indessen kann aber schon aus dem Wortlaut „regelmässig” entnommen werden, daß der vor der Arbeitsunfähigkeit bestehende Lohnanspruch als fortbestehend fingiert wird und Schwankungen nach oben oder unten nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 182 Anm. 16 b).
Die Nichtberücksichtigung von Lohnerhöhungen während der Arbeitsunfähigkeit ergab sich ursprünglich bei der Berechnung des Krankengeldes nach dem Grundlohn (§ 180 RVO). Dieser konnte sich schon im Hinblick auf die Beitragsberechnung nur auf vergangene Lohnzahlungszeiträume beziehen. Die Berechnung des Krankengeldes nach dem Grundlohn konnte auch für den Lohnempfänger aus...