Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltenstherapie durch nichtärztliche Therapeuten als Kassenleistung

 

Orientierungssatz

1. Nur wenn der Arzt bei Anordnung von Drittleistungen je nach Lage des Falles mehr oder weniger intensiv die Hilfspersonen persönlich anleitet oder beaufsichtigt, gehört die Hilfeleistung des Dritten noch zur ärztlichen Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst.

2. Außerhalb des Bereiches der ärztlichen Behandlung liegt deshalb jede Behandlungstätigkeit eines Dritten, die nicht durch einen approbierten Arzt in der genannten Weise geleitet oder überwacht, sondern eigenverantwortlich ausgeübt wird.

3. Die Leistungspflicht der Krankenkassen beschränkt sich auf Maßnahmen medizinischer Natur, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen; sie hat indessen nicht die Aufgabe, sonstige wegen einer Krankheit erforderlich werdende Hilfe im Bereich der Lebensführung zu bieten.

4. Die Tatsache allein, daß eine Therapieform sich günstig auf die Krankheit auswirkt, reicht nicht aus, sie im Rahmen der Krankenversicherung zu entschädigen.

5. Der Einsatz pädagogischer Maßnahmen dient nicht gezielt der Bekämpfung der Krankheit; es handelt sich vielmehr um Maßnahmen zur Erlangung der Schulfähigkeit sowie um schulbegleitende Maßnahmen. Daraus folgt, daß die Kosten einer ausschließlichen Legastheniebehandlung schon aus diesem Grunde ebenfalls nicht zu übernehmen wären.

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.12.1977)

 

Tenor

1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 1977 wird zurückgewiesen.

2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten versichert. Sein 1967 geborener Sohn K. ist von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. im September und Oktober 1975 untersucht worden, der deutliche Zeichen für das Vorliegen sekundärer Symptome einer Neurose - Legasthenie, Enuresis und gelegentliches Einkoten - fand. Zur Vermeidung einer weiteren Verschlimmerung sei eine verhaltenstherapeutische Behandlung dringend angezeigt, die bei dem Diplom-Psychologen F. in D. durchgeführt werden sollte. Seit November 1975 steht er dort in Behandlung.

Der Kläger beantragte deshalb bei der Beklagten am 20. November 1975 die Kostenübernahme dieser Behandlung.

Mit Bescheid vom 23. Januar 1976 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da Kosten für eine verhaltenstherapeutische Behandlung nur durch zugelassene Fachärzte oder Ärzte gewährt würden, die sich mit Psychotherapie befassten. Es bestehe keine Möglichkeit, verhaltenstherapeutische Behandlungen durch nichtärztliche Therapeuten zu Lasten der Krankenkasse in übernehmen.

Der Widerspruchsbescheid vom 3. März 1976 führte noch aus, die ärztliche Behandlung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung werde durch approbierte Ärzte geleistet. Die Behandlung umfasse in gegebenem Falle Hilfeleistung durch andere Personen dann, wenn der Arzt sie verordne, oder wenn in dringenden Fällen kein approbierter Arzt hinzugezogen worden könne. Die “kleine Psychotherapie” könne weder von dem behandelnden Arzt dirigiert noch von nichtärztlichen Psychotherapeuten durchgeführt werden. Wenn Dr. P. die erforderliche Behandlung nicht habe gewähren können, so habe er die Möglichkeit gehabt, den Sohn des Klägers an einen mit der Methodik dieser Behandlung vertrauten Arzt zu überweisen. Das sei nicht erfolgt.

In dem Klageverfahren vor den Sozialgericht Frankfurt am Main, das mit Beschluss vom 12. November 1976 die Kassenärztliche Vereinigung Hessen zum Verfahren beigeladen hat, hat der Kläger unter Hinweis auf das ärztliche Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 31. Oktober 1975, das Schreiben der Ärztin für Psychotherapie Dr. P. vom 19. Dezember 1975, das Schreiben der Psychologischen Praxis des Diplompsychologen F. vom 23. März 1977 und das Gutachten des Prof. Dr. W. vorgetragen, die im November 1975 bei dem Diplom-Psychologen F. begonnene Behandlung sei bisher mit gutem Teilerfolg durchgeführt worden. Bei den von der Beklagten und dem Hessischen Sozialminister benannten Ärzten habe keine Behandlungsmöglichkeit bestanden. Das sei seiner Ehefrau schriftlich, mündlich oder telefonisch von allen genannten Ärzten mitgeteilt worden. Es sei ihm nicht zuzumuten, für seine Sohn K. den Behandler noch zu wechseln. Nach dem Attest des Dr. P. sei die Behandlung erforderlich gewesen, und zwar durch einen nichtärztlichen Therapeuten. Bei Unmöglichkeit der Behandlung durch einen Vertragsarzt müsse die Beklagte aber auch für die Kosten der nichtvertragsärztlichen Behandlung aufkommen. Das werde durch das Gutachten das Prof. Dr. W. bestätigt. Das Sozialamt habe Leistungen mit der Begründung abgelehnt, dass die Beklagte zuständig sei.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie EV und die Antragen im Deutschen Bundestag hinsichtlich nichtärztlicher Psychother...

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