Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung zur Frage des Beschwerderechts des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse

 

Leitsatz (amtlich)

Die Staatskasse als Exekutive darf ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung in anhängigen Verfahren zur Wahrnehmung ihrer fiskalischen Interessen Rechtsmittel nicht einlegen mit dem Ziel, eine innerhalb des Rechtsstreits ergehende richterliche Entscheidung überprüfen zu lassen, weil dies mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht vereinbar wäre.

Derartige Rechte stehen nur den Prozeßbeteiligten zu.

 

Normenkette

GG Art. 20; SGG §§ 109, 172; GEZS § 16

 

Tenor

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

 

Gründe

Durch Beschluß vom 23. April 1969 hat das Sozialgericht Gießen die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG mit der Maßgabe beschlossen, daß der Kläger die erforderlichen Kosten vorschießt. Dieser Beschluß wurde den Beteiligten, jedoch nicht dem in dem Beschluss bestimmten Arzt Dr. T. zugestellt. Dieser hat ohne einen Gutachtensauftrag des Gerichts auf Veranlassung des Klägers am 8.2.1970 ein Gutachten erstattet.

Nach Erledigung des Rechtsstreites durch Vergleich in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 1971 hat das Gericht auf den Antrag des Klägers, die Kosten für das von Dr. T. in N. gem. § 109 SGG erstellte Gutachten vom 8.2.1970 auf die Staatskasse zu übernehmen, beschlossen:

„Die Kosten des nach § 109 SGG bei dem obengenannten Arzt eingeholten Gutachtens werden in gesetzlich zulässigen Umfang auf die Staatskasse übernommen.”

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Beschwerdeführer rechtzeitig erhobene Beschwerde, der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Kosten für das Gutachten hätten nicht gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen werden dürfen, weil es sich nicht um ein Gutachten nach § 109 SGG, sondern um ein Parteigutachten gehandelt habe. Der Gutachter sei nicht durch das Gericht zum Sachverständigen bestellt worden.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist unzulässig.

An sich entspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß auch nicht unmittelbar am Verfahren Beteiligten Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen um einlegen können, sofern sie durch diese Entscheidungen unmittelbar beschwert sind. Dies gilt aber grundsätzlich nicht für den Fiskus und den Bezirksrevisor als dessen Vertreter. Wollte man hier unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Beschwer ein generelles Beschwerderecht zulassen, dann müsste dies im Ergebnis dazu führen, daß die richterliche Tätigkeit durch die Exekutive kontrolliert wird; denn ein Gericht wäre praktisch gezwungen, alle Entscheidungen, die für die Staatskasse irgendwelche Kostenfolgen hätten, deren Vertreter, dem Bezirksrevisor, gegenüber zu begründen. Die Durchführung eines Gerichtsverfahrens stünde damit potentiell unter dem Aspekt einer mehr oder weniger nachhaltigen Intervention des Vertreters der Staatskasse. Dieser Aspekt läuft im Ergebnis auf eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung hinaus. Nach diesem Grundsatz sind Gerichte als besondere Institutionen organisatorisch und sachlich von den Verwaltungsbehörden zu trennen (BVerfG 18, 241, 245; 4, 331, 346). Die Trennung der rechtsprechenden von der vollziehenden Gewalt hat sich nicht nur auf den rein organisatorischen Bereich zu beschränken, sondern auf alle Bereiche der gerichtlichen Tätigkeit zu erstrecken. Interventionen der vollziehenden Gewalt stehen dem wesensmäßig entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die vollziehende Gewalt richterliche Entscheidungen nicht selbst aufheben oder abändern, sondern nur im Rechtszug gerichtlich überprüfen lassen kann. Eine solche generelle Ermächtigung würde eine Eingriffsmöglichkeit und damit eine zumindest indirekte sachliche Beeinflussung der rechtsprechenden Gewalt schaffen.

Hiernach ist es mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht vereinbar, wenn die Staatskasse als Exekutive ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung generell in anhängigen Verfahren zur Wahrnehmung ihrer fiskalischen Interessen Rechtsmittel einlegen kann mit dem Ziel, eine innerhalb eines Rechtsstreits ergehende richterliche Entscheidung überprüfen zu lassen Derartige rechte stehen nur den Prozeßbeteiligten selbst zu.

Hinsichtlich der Entscheidung über die Kostenübernahme nach § 109 SGG wird ein Beschwerderecht des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse nach der in der Rechtsprechung und im Schrifttum herrschenden Meinung verneint. (Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 109 Anm. 7 c). Dies muß auch dann gelten, wenn es sich nicht um die Übernahme der Entschädigung eines Sachverständigen im Rahmen des § 109 SGG handelt, sondern um das Beschwerderecht vorsieht (vgl. Hessisches Landessozialgericht vom 18. Juli 1961, Breithaupt 1961 S. 1149).

Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Richter selbst Verwaltungsentscheidungen aufgrund einer besonderen Legitimation (BVerfG a.a.O.) trifft. Solche Entscheidungen können die Höhe der den Sachverständigen, Zeugen, ehrenamtlichen Beisitzern o.ä. zustehenden Ents...

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