Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerweiterbildung. Lohnfortzahlungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber kann die Fortzahlung der Vergütung für die Lauer einer Bildungsveranstaltung nach dem Hessischen Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub vom 16. Oktober 1984 nicht mit der Begründung verweigern, die Veranstaltung diene nicht der politischen Bildung oder beruflichen Weiterbildung. Ein inhaltliches Überprüfungsrecht der Bildungsmaßnahme steht dem Arbeitgeber nicht zu, weil durch die zuständige Behörde nicht nur der Träger der Bildungsveranstaltung, sondern die Bildungsveranstaltung selbst anerkannt wird. Diese Tatbestandswirkung bindet auch die Gerichte für Arbeitssachen bei der Überprüfung der Lohnfortzahlungspflicht für die Dauer der Bildungsveranstaltung.

 

Normenkette

HessBiUrlG § 9 Abs. 1, 7, § 1 Abs. 1-2, §§ 4-5

 

Verfahrensgang

ArbG Marburg (Urteil vom 03.03.1989; Aktenzeichen 2 Ca 679/88)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.02.1993; Aktenzeichen 9 AZR 203/90)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird das Urteil das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg/Lahn vom 3. März 1989 – 2 Ca 679/88– wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zulassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Dauer des Bildungsurlaubs.

Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. In der Zeit vom 7. November 1988 bis 11. November 1988 nahm sie an einem vom DGB-Bildungswerk Hessen e.V. veranstalteten und vom Hessischen Sozialminister anerkannten Seminar teil. Das Thema dieses Seminars lautete: „Frauen in Ausbildung, Beruf, Familie und Gesellschaft – Situationsvergleich zwischen Hessen und Mazedonien”. Die Beklagte hatte diesen Bildungsurlaub bewilligt, jedoch die Klägerin zur Vorlage eines aussagekräftigen Themenplans gebeten. Die Klägerin lehnte dies ab. Auch das Hessische Sozialministerium entsprach dem Begehren der Beklagten auf Übersendung eines Themenplans unter Hinweis auf die mangelnde Zustimmung der Klägerin nicht. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Vergütungszahlung für die Dauer der Veranstaltung.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Marburg/Lahn am 7. Dezember 1988 eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit vom 7. November 1988 bis 11. November 1988 in der unstreitigen Höhe von 907,– DM brutto.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihr stehe der Anspruch nach dem Hessischen Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub vom 16. Oktober 1984 (HessBiUrlG) zu. Mit der Vorlage des Anerkennungsbescheids für das Seminar und dem Nachweis der Anmeldung und ihrer Teilnahme habe sie sämtliche gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Einem weitergehenden Anspruch hinsichtlich des Inhalts des Seminars habe die Beklagte nicht. Mit der diesbezüglichen Nachfrage wolle die Beklagte unzulässigerweise eine Inhaltskontrolle über das Seminar ausüben.

Die Klägerin hat beantragt.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 907,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1.12.1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe hinsichtlich der Vergütungszahlung für die genannte Zeit ein Leistungsverweigerungsrecht. Dies ergebe sich schon aus der Verweigerung der Klägerin, einen detaillierten Themenplan vorzulegen. Die Beklagte habe deshalb berechtigte Zweifel, daß das von der Klägerin ausgewählte Seminar … den gesetzlichen Voraussetzungen entspreche. Da die Klägerin die Darlegungslast für die Freistellungsvoraussetzungen trage, könne sie bis zum Nachweis dieser Voraussetzungen durch einen entsprechenden Themenplan die Vergütungszahlung verweigern.

Das Arbeitsgericht Marburg/Lahn hat durch das am 3. März 1989 verkündete Urteil der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf Bl. 38–44 d.A. Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 24. Mai 1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. Juni 1989 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. August 1989 am 1. August 1989 begründet. Sie wiederholt ihr Vorbringen in der ersten Instanz und führt ergänzend aus, der Anspruch auf Vorlage eines Themenplans folge schon aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, da diese nicht ausreichend gewährleistet sei. Der Anerkennungsbescheid könne von ihr als einzelne Arbeitgeberin nicht vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Ihr fehle mangels Beeinträchtigung ihrer subjektiven Rechte die Klagebefugnis. Der Anerkennungsbescheid als Verwaltungsakt richte sich ausschließlich an den betreffenden Träger der Bildungsveranstaltung. Außerdem sei die Anerkennung der Veranstaltung nach § 9 HessBiUrlG für den Lohnanspruch nur ein Tatbestandsmerkmal neben anderen. Der Lohnfortzahlungsanspruch beruhe nicht auf der Anerkennung, sondern ergebe sich unmittelbar aus § 1 Abs. 1 HessBiUrlG. Dies könne aber keine Befugnis des Arbeitgebers zur Anfechtung der Entscheidung über die Anerkennung b...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge