Leitsatz (amtlich)

Den wegen Alkoholabhängigkeit erkrankten Arbeiter trifft nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 1.6.1983 (DB 1983, 2421) eine Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes, um den Arbeitgeber in die Lage zu versetzen, seiner Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Selbstverschuldens i. S. des § 1 Abs. 1 LohnFG bei Beginn der Alkoholerkrankung zu genügen. Diese Mitwirkungspflicht geht jedoch nicht soweit, daß der Arbeiter alle aus seinem Lebensbereich stammenden einschlägigen Umstände im einzelnen dem Arbeitgeber auf Verlangen mitzuteilen hat, sondern beschränkt sich darauf, daß er die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet und die Handlungen vornimmt, die zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sind.

 

Normenkette

LohnFG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.06.1986; Aktenzeichen 13 Ca 367/85)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt a. M. vom 12. Juni 1986 – 13 Ca 367/85 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.417,10 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. August 1985 zu bezahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht für das bei ihr versicherte Mitglied E. S., geboren am 24.9.1955, Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gegen die Beklagte geltend.

Der Versicherte S. war seit 14.3.1984 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt.

Er war in der Zeit vom 2.5.1984 bis 14.6.1984 arbeitsunfähig erkrankt. Die Erkrankung war auf übermässigen Alkoholgenuß zurückzuführen. Die Beklagte verweigerte für die ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit, die Zeit vom 2.5. – 12.6.1984, die Lohnfortzahlung. Die Klägerin zahlte daraufhin für diesen Zeitraum Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 57,55 DM, insgesamt in Höhe von 2.417,50 DM.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die seit 2.5.1984 bestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Versicherten S. sei unverschuldet. Sie hat behauptet, die Arbeitsunfähigkeit sei darauf zurückzuführen, daß bei dem Versicherten eine krankhafte Alkoholabhängigkeit vorliege. Der Versicherte S. sei bereits im Jahre 1982 wegen eines chronischen Alkoholismus ambulant behandelt worden. In der Zeit vom 4. – 20.1.1983 habe er sich einer stationären Alkoholentgiftung unterziehen müssen. Bei dem Versicherten bestehe eine körperliche und psychische Abhängigkeit vom Alkohol, die es ihm nicht mehr erlaube, aus eigener Willensanstrengung vom Alkohol loszukommen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.417,10 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.8.1985 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, beim Versicherten S. liege keine Erkrankung durch chronischen Alkoholismus vor. Der Versicherte sei nach der im Jahre 1983 durchgeführten Entgiftungsbehandlung mit dem Vermerk „ohne Befund” und damit offensichtlich als von der Trunksucht geheilt, aus dem Krankenhaus entlassen worden. Danach sei kein weiterer übermässiger Alkoholgenuß beobachtet worden. Die ab 2.5.1984 eingetretene Erkrankung beruhe auf einem selbstverschuldeten einmaligen Alkoholexzess. Zum Verschulden des Versicherten bei Beginn einer – von ihr bestrittenen – Alkoholabhängigkeit könne sie im übrigen keine Angaben machen, da die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.

Die Beklagte hat ferner behauptet, daß sie dem Arbeiter S. mit Schreiben vom 5.6.1984 fristlose gekündigt habe, so daß zumindest ab diesem Zeitpunkt kein Lohnfortzahlungsanspruch mehr bestehe.

Die Klägerin hatte im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Erklärung des Versicherten S. vom 24.8.1984 über die Entbindung von der Schweigepflicht (Bl. 7 d.A.) vorgelegt, ferner einen Bericht des Internisten Dr. G. vom 28.3.1985 (Bl. 8 d.A.). Die Beklagte hatte die ihr zunächst von der Klägerin überlassenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nebst Diagnosen des Dr. F. vom 7.1.1983 (Bl. 33 d.A.) und 14.7.1984 (Bl. 35 d.A.) sowie die Krankenhausaufnahmebestätigung des S. R. K. D. vom 4.1.1983 (Bl, 32 d.A.) und den Entlassungsbericht vom 21.1.1983 (Bl. 34 d.A.) zu den Akten gereicht,

Mit seinem am 12.6.1986 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht F. die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, die Ursachen für die Alkoholabhängigkeit des Versicherten S. zu benennen. Ergänzend wird auf den Inhalt des Urteils (Bl. 53 – 60 d.A.) Bezug genommen.

Gegen das ihr am 2.9.1986 zugestellte Urteil (Bl. 63 d.A.) hat die Klägerin am 26.9.1986 Berufung eingelegt (Bl. 65 d.A.) und dieses Rechtsmittel innerhalb der bis zum 26.11.1986 verlängerten Berufungsbegründungsfrist (Bl. 67 d.A.) auch begründet (Bl. 71-78 d.A.).

Sie ist der Auffassung, daß sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten zweifelsfrei ergebe, daß bei dem Versicherten S. ein chronischer Alkoholismus ...

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