Entscheidungsstichwort (Thema)

Anstellungsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Unangemessene Benachteiligung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Überschreitung billigen Ermessens bei Übertragung einer nicht gleichwertigen Stelle. Überschreitung des Weisungsrechts aus § 106 GewO und Versetzung des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird ein Anstellungsvertrag formularmäßig praktiziert und steht er in der Anwendung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern offen, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB.

2. Wird in einem Anstellungsvertrag geregelt, dass die Übertragung der Tätigkeit einer anderen Vertragsstufe möglich ist, enthält dies eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB, weil nach dem Wortlaut der Regelung auch niedrigere Vertragsstufen eingeschlossen sind.

3. Ist die übertragene Stelle wie die eines Senior Manager Security nach Verantwortlichkeit, Handlungsfähigkeit und Zahl der unterstellten Mitarbeiter nicht gleichwertig mit der aktuellen Stelle eines Betriebsleiters, hat der Arbeitgeber die Grenze billigen Ermessens nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB überschritten.

4. Überschreitet der Arbeitgeber sein Direktionsrecht durch Zuweisung einer anderen, nicht mindestens gleichwertigen Aufgabe, liegt eine Versetzung des Arbeitnehmers ohne Zustimmung des Betriebsrats vor. Diese Versetzung ist nach der "Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung" auch individualrechtlich unwirksam. Der Arbeitnehmer hat das Recht, die Arbeit zu den geänderten Bedingungen zu verweigern.

 

Normenkette

GewO § 106 S. 1; BGB § 315 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 99 Abs. 1, § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3; BGB § 310 Abs. 3 Nr. 1; BetrVG § 95 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 26.04.2018; Aktenzeichen 4 Ca 1179/17)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 26. April 2018 – 4 Ca 1179/17 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob die Beklagte dem Kläger im Rahmen ihres Direktionsrechts wirksam eine andere Tätigkeit zugewiesen hat oder ihn weiter als Betriebsleiter beschäftigen muss.

Die Beklagte ist ein Unternehmen, das auf dem Gebiet der Herstellung von Celluloseether tätig ist. Sie ist Teil eines japanischen Konzerns, dessen Konzernmutter die A ist. Die Beklagte unterhält am Standort B einen Betrieb mit mehreren Produktionsstätten, u.a. einer Produktionsstätte zur Herstellung von Glutolin.

Der 19XX geborene Kläger ist seit dem 01. Januar 1998 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, der C. Zunächst wurde der Kläger mit Arbeitsvertrag vom 10. Dezember 1997 als Chemiker eingestellt. Seit dem 01. Oktober 2001 wurde der Kläger bei der Beklagten als Betriebsleiter des Glutolin-Betriebs in B, Industriepark D, eingesetzt. Der Kläger bezog von der Beklagten zuletzt (Stand 2016) ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt i.H.v. 14.167,00 € zuzüglich leistungsabhängiger Prämien.

Der Kläger ist promovierter Diplom-Chemiker und hat berufsbegleitend Abschlüsse als Wirtschaftsingenieur und MBA erworben.

Im Jahr 2016 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Versetzung zum „Technical Supervisor E“ zum 01. Januar 2017 aus und entband ihn von seinen Aufgaben als Betriebsleiter. Das Werk in E (Louisiana, USA) wird von der F betrieben, welche ebenfalls zum Konzern gehört.

Gegen die Versetzung wandte der Kläger sich in dem Vorverfahren der Parteien mit dem Az. – 18 Sa 686/17 (Az. Arbeitsgericht Wiesbaden – 4 Ca 2018/16). Die Kammer hat durch Urteil vom 08. November 2017 die Versetzung für unwirksam erklärt und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Betriebsleiter des Glutolin-Betriebs verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2017 wies die Beklagte dem Kläger mit sofortiger Wirkung die Stelle eines „Beauftragten für Unternehmenssicherheit“ zu. Die Wirksamkeit der neuen Versetzung ist Gegenstand dieses Berufungsverfahrens.

Auf diesen Hintergrund ist gemäß § 313 Abs. 2 ZPO noch folgender Sachverhalt darzustellen:

Am 10./19. Oktober 2001 hatten der Kläger und die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen, der auszugweise den folgenden Inhalt hat (vgl. für vollständigen Inhalt: Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16. Februar 2018, Bl. 96-98, d.A.):

„(…) anstelle früherer Anstellungsverträge, die mit uns oder einer mit uns wirtschaftlich verbundenen Firma bestehen, wird zwischen Ihnen und uns mit Wirkung vom 1. Oktober 2001 nachfolgender Vertrag geschlossen. I. Arbeitsbereich Sie stehen als leitender Angestellter in unseren Diensten. Sollte es aus persönlichen oder betrieblichen Gründen erforderlich werden, erklären Sie sich bereit, eine andere angemessene, ggfs. auch mit einer anderen Vertragsstufe bewertete Aufgabe in unserem oder einem wirtschaftlich mit uns verbundenen Unternehmen zu übernehmen. Aufgrund ihrer derzeitigen Aufgabe sehen wir Sie als leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 B...

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