Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch eines schwerbehinderten Kurierfahrers auf Erhöhung seiner Wochenarbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Anspruch eines schwerbehinderten Kurierfahrers auf Erhöhung der Wochenarbeitszeit kann nur dann aus § 9 TzBfG hergeleitet werden, wenn in dem Unternehmen tatsächlich neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies ist nicht der Fall, wenn lediglich die Wochenarbeitszeit von Teilzeitkräften aufgestockt wird. Jedoch kann dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch gem. § 15 Abs. 1 AGG zustehen, wenn die Auswahl unter den Kurierfahrern, die eine Arbeitszeitaufstockung wünschten, unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG erfolgt ist. Dabei lässt der Ausschluss des schwerbehinderten Arbeitnehmers von den Stundenaufstockungen eine unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten. Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitnehmer als einziger Kurier in Teilzeitbeschäftigung, der eine Stundenerhöhung wünschte, nicht berücksichtigt worden ist.

2. Aufgrund dieser Benachteiligung steht dem Arbeitnehmer zwar kein Anspruch auf Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrages, aber ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Lohndifferenz zu. Dieser Schadensersatzanspruch ist zeitlich nicht begrenzt, jedenfalls solange die Benachteiligung nicht tatsächlich ausgeglichen wird.

 

Orientierungssatz

Zumindest kein Anspruch des AN auf Erhöhung der Wochenarbeitszeit nach § 9 TzBfG, wenn AG nur bestehende Arbeitsverhältnisse aufstockt und Umfang möglicher Erhöhung zunächst unklar.

Schadensersatzanspruch eines schwerbehinderten AN, der nach dem Willen des AG als einziger Kurierfahrer von Arbeitszeiterhöhungen ausgenommen werden soll wegen quantitativ geringerer Leistung. Leistungsmenge hängt mit Behinderung zusammen.

 

Normenkette

TzBfG § 9; AGG § 15 Abs. 1; ZPO § 259

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.01.2014; Aktenzeichen 14 Ca 6332/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.01.2017; Aktenzeichen 8 AZR 736/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2014 - 14 Ca 6332/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.955,18 EUR (in Worten: Achttausendneunhundertfünfundfünfzig und 18/100 Euro) brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.477,59 EUR (in Worten: Viertausendvierhundertsiebenundsiebzig und 59/100 Euro) brutto ab 23. August 2014 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist an den Kläger monatlich einen Betrag von 344,43 EUR (in Worten: Dreihundertvierundvierzig und 43/100 Euro) brutto zu zahlen, und zwar beginnend ab dem Datum der Entscheidung durch das Berufungsgericht [25. September 2015] und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Kosten gilt:

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz hat der Kläger zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 48%, die Beklagte 52% zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erhöhung der Wochenarbeitszeit, hilfsweise um Schadensersatz. Der Kläger macht geltend, er sei als schwerbehinderter Mensch diskriminiert worden.

Die Beklagte ist die deutsche Niederlassung der A mit Hauptsitz in B/C in den USA. Sie betreibt einen Express-Versand und Transport-Service. Der am XX.XX.19XX geborene Kläger, der ledig ist, ist seit 01. April 2007 Arbeitnehmer der Beklagten. Er war zunächst befristet als Hub Handler in der Abteilung Hub am Flughafen D beschäftigt, seit 01. Mai 2008 arbeitet er unbefristet als Kurier in der Station E. Für D und E ist ein Betriebsrat gebildet.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Die Feststellung erfolgte am 01. März 2012 rückwirkend zum 20. Dezember 2011 (Kopie des Schwerbehindertenausweises als Anlage K6 zur Klageschrift, Bl. 65 f. d.A.). Die vertragliche Wochenarbeitszeit des Klägers beträgt 27,5 Stunden seit 01. Juni 2010. In der Zeit von 01. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011 war die Wochenarbeitszeit auf 30,5 Stunden erhöht (vgl. Arbeitsverträge vom 12./18. April 2007, 25. April 2008, 08./15. Juni 2010, 19./21. Januar 2011 und 06./18. Oktober 2011, Anlagen K1-K5 zur Klageschrift, Bl. 50-55, 56 f., 58 f., 60-62, 63 f. d.A.). Der Kläger verdiente zuletzt 1.994,12 € brutto monatlich.

Zumindest seit 2011 wird die Station E von Herrn F als Senior Manager geleitet, Station Manager ist Herr G. Herr H war Ops (Operational) Manager, er ist mittlerweile in einer anderen Station der Beklagten tätig.

In E arbeiten ca. 24 Kurierfahrer, überwiegend in Teilzeit. Daneben setzt die Beklagte Selbständige (Agents) bei Kurierfahrten ein. Außer dem Kläger ist ein weiterer Kurier, Herr I, schwerbehindert. Dieser arbeitet in Vollzeit. Der Kurier J, der mittlerweile einen GBD von 50 haben soll, war im Frühjahr 2013 w...

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