Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Entfernung berechtigter Abmahnungen aus Personalakten wegen „Bewährung”

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem vertraglichen Anspruch aus der Fürsorgepflicht auf Entfernung berechtigter Abmahnungen aus der Personalakte stehen schon berechtigte vertragliche Interessen des Arbeitgebers an Erhaltung der abgemahnten Vorgänge (für künftige Personalentscheidungen oder Arbeitszeugnisse) entgegen (Abweichung von BAG in AP 83,93,96 § 611 BGB-Fürsorgepflicht).

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gibt dem Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf Entfernung anfänglich berechtigt erteilter Abmahnungen aus der Personalakte, wenn durch deren Verbleib das von der Personalakte widergespiegelte wahre Bild des Arbeitsverhältnisses verfälschen würde, d. h. wenn eine Wiederholung des berechtigt abgemahnten Verhaltens nicht mehr zu besorgen ist (Weiterführung von BAG Urt. vom 18.11.1986 – 7 AZR 674/84).

 

Normenkette

BGB §§ 611, 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Urteil vom 18.02.1987; Aktenzeichen 7 Ca 329/86)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18.2.1987 – 7 Ca 329/86 – abgeändert.

Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes beträgt DM 10.249,98.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, 5 Abmahnungen unentschuldigten Fehlens wegen 2 1/2jähriger beanstandungsfreier Führung des Klägers aus seiner Personalakte zu entfernen.

Der 1953 geborne, verheiratete Kläger trat am 3.7.1972 als ungelernter Hilfsarbeiter in die Dienste der Beklagten, die ihn zum Facharbeiter anlernte. Er wurde als Staplerfahrer eingesetzt, und zwar zuletzt im Lager der Beklagten. Seit 1.5.1983 wurde er zum „Vormann”, eine Art. stellvertretender Vorarbeiter, befördert und erhält eine halbe Vorarbeiterzulage.

Unter dem 23.10.1980, 14.5.1981 und 23.6.1983 rügte die Beklagte unentschuldigtes Fernbleiben des Klägers von der Arbeit an jeweils 2 Tagen und kündigte für den Wiederholungsfall jeweils eine Kündigung an (= Bl. 3, 4, 5 d.A.).

Am 2.9.1983 fehlte der Kläger erneut unentschuldigt. Die Beklagte leitete die Anhörung des Betriebsrates zu einer fristlosen Kündigung des Klägers ein. Als am Nachmittag gegen 15.30 Uhr ein, Attest des Klägers für einen Tag einging, wurde das Kündigungsverfahren abgebrochen und dem Kläger „zum allerletzten Mal” für den Wiederholungsfall eine fristlose Kündigung angedroht (= Bl. 6 d.A.).

Am 12.1.1984 rief der Kläger in angetrunkenem Zustand seinen Meister an und erbat einen Tag Urlaub. Der Vorfall rührte zu einer „allerletzten Abmahnung wegen erneuter Unzuverlässigkeit” (Bl. 7 d.A.). Diese 5 Abmahnungen wurden zur Personalakte des Klägers genommen, der Betriebsrat erhielt jeweils eine Kopie.

Am 27.8.1986 blieb der Kläger nach einem Ehestreit der Arbeit fern. Die Beklagte reagierte darauf mit einer befristeten Kündigung vom 28.8.1986 zum 12.9.1986, die der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage vom 10.9.1986 – eingegangen am 11.9.1986 – angriff (= 7 Ca 331/86 des ArbG Darmstadt). Nachdem das Arbeitsgericht Darmstadt Zweifel daran erkennen ließ, ob die 5 älteren Abmahnungen kündigungsrechtlich noch brauchbar seien, hat die Beklagte ihre Kündigung zurückgenommen und der Kläger seine Kündigungsschutzklage.

Mit Klage vom gleichen Tag hat der Kläger auf Entfernung der 5 schriftlichen Abmahnungen aus seiner Personalakte und deren ersatzlose Vernichtung geklagt.

Der Kläger hat ausgeführt, nach über 2 1/2jähriger beanstandungsfreier Bewährung seit dem 12.1.1984 hätten die in seiner Personalakte befindlichen 5 Abmahnungen jede kündigungsrechtliche und arbeitsrechtliche Relevanz verloren und zugleich die Qualität eines Eingriffes in sein Persönlichkeitsrecht erlangt. Dieses mit Verfassungsrang absolut geschützte Recht gebe ihm nach so langer Bewährungszeit einen Anspruch auf eine „weiße Weste” im Betrieb.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, aus der Personalakte des Klägers die Verwarnung vom 23.10.1980, Verwarnung vom 14.5.1981, Abmahnung vom 23.6.1983 sowie 2.9.1983 und Abmahnung vom 12.1.1984 ersatzlos zu entfernen und zu vernichten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eingewandt, der Kläger habe die ihm erteilten Abmahnungen rügelos hingenommen, damit deren Berechtigung eingesehen und anerkannt und eventuelle Ansprüche auf deren Berichtigung oder Entfernung aus der Personalakte verwirkt.

Im übrigen habe der Kläger sein abgemahntes Verhalten am 27.8.1986 durch erneutes unentschuldigtes Fehlen fortgesetzt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch hiermit in Bezug genommenes Urteil vom 18.2.1987 entsprochen. In ihrer dagegen gerichteten Berufung vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen, beruft sich auf eine Versäumung der tariflichen Ausschlußfrist für den Entfernungsanspruch und stellt sich gegen die Ansicht des LAG Hamm, wonach Abmahnungen in der Regel nach 2-jähriger Bewährungszeit aus der Personalakte zu tilgen seien. D...

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