Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtheit von Arbeitnehmern i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschnitt VI Unterabschnitt 1 Satz 3 VTV-Bau. Fingierte Betriebsabteilung i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschnitt VI Unterabschnitt 1 Satz 3 VTV-Bau

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die außerhalb der stationären Betriebsstätte eines nicht von § 1 Abs. 2 Abschnitte I bis IV erfassten Betriebs baugewerbliche Tätigkeiten ausführt stellt nur dann eine fingierte Betriebsabteilung nach § 1 Absatz 1 Abschnitt VI Unterabschnitt 1 Satz 3 VTV-Bau dar, wenn auch innerhalb der stationären Betriebsstätte gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt sind.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Gesamtheit im Sinne der Tarifvorschrift ist eine Gruppe von Arbeitnehmern, die koordiniert, d.h. geführt und geleitet, arbeitszeitlich überwiegend außerhalb der stationären Betriebsstätte baugewerbliche Arbeiten ausführt. Die Gesamtheit kann sowohl vor Ort als auch aus einer Betriebsstätte heraus koordiniert werden.

 

Normenkette

VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabschn. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 29.10.2019; Aktenzeichen 14 Ca 282/18 SK)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.10.2022; Aktenzeichen 10 AZR 341/20)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29. Oktober 2019 – 14 Ca 282/18 SK – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen an die Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes berechtigt und verpflichtet.

Die Beklagte unterhält einen Betrieb, dessen Mitarbeiter in den Kalenderjahren 2015 und 2016 arbeitszeitlich überwiegend Gebäudereinigungsarbeiten ausgeführt haben und in einem arbeitszeitlich untergeordneten Umfang Abbrucharbeiten.

Auf Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 03. Mai 2013 (VTV) in den Fassungen vom 10. Dezember 2014 und vom 24. November 2015 nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen wegen der Beschäftigung mindestens zwei gewerblicher Arbeitnehmer sowie einer Angestellten während des Zeitraums von Juni 2015 bis Dezember 2016 in Höhe von insgesamt 27.757,- EUR in Anspruch. Seiner Berechnung legt er hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer Mindestbeiträge auf Basis des Durchschnittslohns westdeutscher Bauarbeiter in Höhe von monatlich 681,- EUR pro Arbeitnehmer für das Kalenderjahr 2015 und in Höhe von monatlich 700,- EUR pro Arbeitnehmer für das Kalenderjahr 2016 zugrunde.

Am 17. Mai 2017 fand ein Betriebsbesuch eines Mitarbeiters des Klägers bei der Beklagten statt. Auf Grundlage dieses Besuchs erhielt der Kläger von seinem Mitarbeiter die Angabe, dass eine Anzahl von Arbeitnehmern ausschließlich Abbrucharbeiten verrichteten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass in dem Betrieb der Beklagten zwar keine selbstständige Betriebsabteilung, wohl aber eine selbstständige Gesamtheit von Arbeitnehmern existiere. Er hat behauptet, dass die als Gesamtheit tätigen gewerblichen Arbeitnehmer in den streitgegenständlichen Kalenderjahren zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet auch mehr als 50 % der in dieser (fingierten) Betriebsabteilung erbrachten Gesamtarbeitszeit ausgemacht hätte, Abbruch- und Entkernungsarbeiten sowie Durchbrucharbeiten und sämtliche mit diesen Tätigkeiten im Zusammenhang stehende Arbeiten zur Vor- und Nachbereitung der Baustelle ausgeführt hätten.

Der Kläger hat gemeint, die mit diesen Tätigkeiten betrauten Arbeitnehmer hätten, indem sie Abbrucharbeiten ausgeführt hätten, eine selbstständige Gesamtheit von Arbeitnehmern im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt VI Satz 3 VTV gebildet. Dies ergäbe sich daraus, dass sie außerhalb der stationären Betriebsstätte baugewerbliche Tätigkeiten ausgeführt hätten, vom Geschäftsführer der Beklagten koordiniert worden seien und eine Unterstützung durch Arbeitnehmer des Gebäudereinigungsbereichs nicht erfolgt sei. Der Kläger hat behauptet, dass kein Austausch zwischen den Bereichen Abbruch und Gebäudereinigung stattgefunden hätte. Die Abbrucharbeiten seien separat von den anderen Leistungen des Unternehmens angeboten und ausgeführt worden. Dies ergäbe sich aus den Feststellungen des Mitarbeiters des Klägers, der den Betriebsbesuch vorgenommen habe.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 27.757,- EUR an ihn zu verurteilen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und die Ansicht vertreten, eine Beitragspflicht bestünde nicht, da keine Gesamtheit von Arbeitnehmern vorläge, die baugewerbliche Arbeiten ausgeführt hätte. Der Mitarbeiter des Klägers habe im Rahmen des Betriebsbesuchs falsche Feststellungen dokumentiert, indem er Arbeitsstunden von Mitarbeitern...

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