Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Aussperrung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Aussperrung von Schwerbehinderten ist unzulässig.

 

Normenkette

GG Art. 9 III; TVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wetzlar (Urteil vom 12.03.1985; Aktenzeichen 2 Ca 669/84)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 12.3.1985 (Az.: 2 Ca 669/84) wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Lohnansprüche des Klägers für die Zeit von 25.6. bis 30.6.1984.

Der Kläger ist Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 Prozent. Er ist seit 1970 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer tätig und arbeitet mit ca. 20 Arbeitnehmern in der Metalloberflächenverarbeitung mit ca. 20 Arbeitnehmern. Er ist Vertrauensmann der Schwerbehinderten im Betrieb der Beklagten.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metallindustrie des L. H. Anwendung

Am 21.5.1984 rief die I. M. ihre Mitglieder in 11 Betrieben zum unbefristeten Streik auf. Bezüglich der Entwicklung des Arbeitskampfes wird auf das erstinstanz liche Urteil verwiesen. Der Kläger war vom 25. bis 30.6.1984 von der Beklagten ausgesperrt. Sein Verdienst hätte in dieser Zeit 579,20 DM betragen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Aussperrung sei rechtswidrig gewesen. Deshalb habe sich die Beklagte in Annahme Verzug befunden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 579,20 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit 1.8.1984 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Aussperrung sei nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erfolgt und damit rechtmäßig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt, die Aussperrung des Klägers sei rechtswidrig gewesen. Das Arbeitsgericht hat zum einen rechtliche Zweifel an der Tragfähigkeit der Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit der Aussperrung geäußert und zum anderen ausgeführt, die Aussperrung sei schon deshalb nicht nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erfolgt, weil sie den Kläger als Schwerbehinderten betroffen habe. Der besondere Schutz des Schwerbehinderten und die ihm gegenüber gesteigerte Fürsorge des Arbeitgebers ließen eine Aussperrung eines Schwerbehinderten … als nicht erforderlich und proportional erscheinen. Der Arbeitgeber sei nicht auf die Einbeziehung dieser verhältnismäßig kleinen Gruppe angewiesen. Der Einsatz eines Schwerbehinderten lasse sich auch zu Zeiten eines Arbeitskampfs im Rahmen von Erhaltungsand Notdienstmaßnahmen ausgleichen. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen das ihr am 24.4.1985 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.5.1985 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 21.7.1985 mit dem am 19.7.1985 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie beruft sich auf die Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Abwehraussperrungen und macht geltend, auch gegenüber einem besonders geschützten Personenkreis wie z. B. den Schwerbehinderten sei eine suspendierende Aussperrung zulässig. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Regelung in § 18 Absatz 7 SchwbhG, Betriebe, die die vom Gesetz geforderte Quote von Schwerbehinderten beschäftigten, würden durch ein Aussperrungsvsrbot benachteiligt. Ein solches würde auch die Streikkasse der Gewerkschaften so sehr entlasten, daß hierdurch in die Arbeitskampfparität eingegriffen würde. Durch die Aussperrung müßten Schwerbehinderte auch keine Gefährdung ihrer Existenz befürchten. Durch die Zahlung von Streikgeld seien die von Arbeitskampf betroffenen Schwerbehinderten weitgehend abgesichert. Darüber hinaus sei es nicht möglich, Schwerbehinderte während einer Aussperrung sinnvoll zu beschäftigen. Für Erhaltungs- oder Notstandsarbeiten würden Berufsgruppen wie Schlosser und Elektriker gebraucht, die unter den Schwerbehinderten … selten zu finden seien. Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger hätte seine Arbeitskraft zumindest wörtlich anbieten müssen, um die Annahneverzugs folgen auslösen zu können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wetzlar vm 12.3.1985 (Az.: 2 Ca 669/84) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Er behauptet, die Beklagte hätte ihn auch während der Aussperrung beschäftigen können. Er habe seine Arbeitskraft auch angeboten, indem er während der Aussperrung Tag für Tag vor dem Werktor gestanden habe- (Beweis: Lohnstein als Zeuge).

Zur Ergänzung des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 17.7.1985 und der– Schriftsatz vom 5.5.1986 sowie auf die Berufungserwiderung vom 17.9.1985 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist auf Grund der Zulassung der Berufung durch das Arbeitsgericht statthaft, form- und fristgerecht...

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