Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausgleich für Arbeitswillige im Arbeitskampf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein unmittelbar kampbetroffener Arbeitgeber, der seine arbeitswilligen Arbeitnehmer im Streikfall verpflichtet, sich pünktlich zum Arbeitsbeginn an der Arbeitsstelle vorzuweisen und dies durch einen namentlichen Eintrag in einer zu diesem Zweck ausliegenden Liste auch zu „dokumentieren”, schuldet einen angemessenen finanziellen Ausgleich, sofern diese den dadurch veranlaßten täglichen Zeitaufwand letztlich deshalb erfolglos auf sich nehmen, weil sie nach einer von Tag zu Tag nach der Streiklage neu getroffenen Einzelfallentscheidung des Arbeitgebers (doch) nicht beschäftigt werden.

2. Als nach § 315 BGB geschuldeter billiger Ausgleich ist im Regelfall ein Betrag in Höhe des Bruttoentgelts für drei Arbeitsstunden für jeden Tag mit tatsächlichem Arbeitsangebot bei Arbeitsbeginn und anschließendem Listeneintrag angemessen. Urteil – des Hessischen Landesarbeitsgerichts

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.01.1993; Aktenzeichen 12 Ca 232/92)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.1995; Aktenzeichen 1 AZR 161/95)

 

Tenor

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 12.01.1993 – 12 Ca 232/92 teilweise abgeändert und im Urteilsausspruch wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger 207,– DM (i.W. zweihundertsieben Deutsche Mark) brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit dem 09.07.1992 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 11/15 und die Beklagte 4/15.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger wegen Annahme Verzugs Lohn in Höhe von 767,28 DM brutto zu zahlen.

Der Kläger ist seit 01.09.1971 als Kfz-Mechaniker bei der Beklagten im Amt für Abfallwirtschaft (früher: Städtisches Reinigungsamt) im Werkstattbereich II der Müllverbrennungsanlage in F./Main-H. – beschäftigt. Wegen des von der ötv in der Zeit vom 27.04.1992 bis zum 07.05.1992 durchgeführten Streiks konnte in diesem Werkstattbereich nicht oder nur eingeschränkt gearbeitet werden.

Der Kläger meldete sich in der Zeit vom 29.04. bis 04.05.1992 arbeitstäglich morgens zur Arbeit und trug sich jeweils täglich in die für Zwecke der Erfassung der „Mitarbeiter, die durch Streikmaßnahmen an der Aufnahme ihrer Tätigkeit gehindert wurden” (so z.B.: Bl. 40 in Sachen 12/9 Sa 910/93) ausgelegte Liste als Arbeitswilliger ein.

In der Zeit der Streikdauer vom 05.05. bis einschließlich 07.05.1992 konnten die Kläger K., N. und F. jeweils wegen mit der Streikleitung zusätzlich zum Notdienst abgesprochener Sonderarbeitseinsätze morgens das Betriebsgelände betreten und unter Aufsicht eines Meisters ganztägig arbeiten. Der Kläger A. hätte in diesem Sonderarbeitseinsatz ebenfalls Beschäftigung finden können, wenn er nicht wegen des auch den öffentlichen Nahverkehr erfassenden Streiks den Weg von seinem Wohnort M. (Spessart) zur Arbeitsstelle mit dem Pkw hätte zurücklegen müssen. Wegen streikbedingter Staus – so hat er unwidersprochen behauptet – habe er aber morgens in der Zeit vom 04. bis 07.05.1992 immer erst um ca. eine Stunde verspätet den Arbeitsort erreichen können. Zu diesem Zeitpunkt sei dann der Meister mit den zu Sonderarbeiten herangezogenen Werkstattkollegen „schon drin” gewesen, so daß er sich – nach Eintrag in die Liste für Arbeitswillige und einigem Zuwarten – wieder auf den Heimweg gemacht habe.

Zuvor hatte das Personal- und Organisationsamt der Beklagten mit Rundschreiben vom 14.04.1992 (Bl. 75–76 d. A. 12/9 Sa 910/93) allen Amts-/Betriebsleitungen wegen des voraussichtlichen Streiks vorbereitende Hinweise gegeben. Dabei war zum einen auf ein erneut beigefügtes früheres Rundschreiben vom 25.05.1983 (Bl. 77–83 d. A. 12/9 Sa 910/93) Bezug genommen.

Ferner wurde auf die „Arbeitskampfrichtlinien der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)” verwiesen.

Nach Nr. 4.3.2.4 des Rundschreibens vom 25.05.1983 haben die streikbetroffenen Ämter und Betriebe u.a. die Pflicht, das Personal- und Organisationsamt „sofort… über den Kreis der Streikenden sowie der Arbeitswilligen, die durch den Streik ganz oder zeitweise an der Arbeitsleistung gehindert sind, nach

  1. Name, Vorname
  2. Personalnummer
  3. Buchhaltung und ggf. Zahlstelle
  4. Unterabschnitt
  5. Beginn und Ende des Arbeitsausfalls sowie Angabe der ausgefallenen Stunden”

zu unterrichten (Bl. 81, 82 d. A. 12/9 Sa 910/93).

In einem weiteren Anschreiben an alle Mitarbeiter vom 21.04.1992 informierte die Beklagte u.a. darüber, daß „wer sich an Arbeitskampfmaßnahmen nicht beteiligt, so lange wie möglich beschäftigt (wird) und insoweit keine Minderung seiner Bezüge erfährt”. Ferner heißt es dort:

„Arbeitswillige melden sich bitte bei der von ihrem Amt oder Betrieb genannten Stelle” (Nr. 1.1 Abs. 3 des Rundschreibens vom 21.04.1992; Bl. 85 d. A. 12/9 Sa 910/93). Des weiteren heißt es in diesem Mitteilungsschreiben in Nr. 2.4 A...

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