Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe. Verfassungsgemäßheit des SokaSiG II 2017 in Bezug auf VTV-Gerüstbau. Erstmalige Berufung auf SokaSiG in zweiter Instanz nur als Anschlussberufung. Bevorstehende Gesetzesänderung kein Grund für Verfahrensstillstand

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das am 8. September 2017 in Kraft getretene SokaSiG II ist in Bezug auf den VTV-Gerüstbau wirksam und trotz der darin enthaltenen echten Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Will sich der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz auf das SokaSiG II berufen, liegt ein neuer Streitgegenstand vor, den er im Wege der Anschlussberufung geltend machen muss.

3. Ein triftiger Grund für einen Verfahrensstillstand nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB liegt nicht vor, wenn eine Partei lediglich den Eintritt einer ihr günstigeren Lage (hier einer Gesetzesänderung) abwarten möchte.

 

Normenkette

SokaSiG2 § 15 Abs. 1; SokaSiG2 Anl. 46; VTV-Gerüstbau § 1 Abs. 2 Abschn. I; VTV-Gerüstbau § 1 Abs. 2 Abschn. II; ZPO § 524; BGB § 204 Abs. 2 S. 2; ArbGG § 69 Abs. 2; ZPO § 92 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 260

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 07.07.2016; Aktenzeichen 10 Ca 834/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.06.2020; Aktenzeichen 10 AZR 322/18)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 7. Juli 2016 – 10 Ca 834/14 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.085,02 EUR (in Worten: Zweiunddreißigtausendfünfundachtzig und 02/100 Euro) zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 24 % und der Beklagte 76 % zu tragen.

Die Revision wird für den Beklagten zugelassen, für den Kläger wird sie nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zum Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Gerüstbaugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe (VTV-Gerüstbau), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, hat er den Beklagten nach Verbindung von zwei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 42.476,94 Euro für den Zeitraum Januar 2011 bis Dezember 2013 in Anspruch genommen. Maßgeblich ist der VTV-Gerüstbau vom 20. Januar 1994 i.d.F. vom 11. Juni 2002, der durch die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 29. Oktober 2002 (BAnz Nr. 216 vom 20. November 2002) nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.

Bei der Forderungsberechnung ging der Kläger davon aus, dass im Betrieb des Beklagten in dem Zeitraum Januar 2011 bis Dezember 2012 zwei gewerbliche Arbeitnehmer und ein Angestellter beschäftigt waren. Bezüglich des Bruttolohns der gewerblichen Arbeitnehmer ging der Kläger von einem Stundenlohn für Gerüstbauerhelfer in Höhe von mindestens 11 Euro aus. Für das Kalenderjahr 2013 legte er die Beschäftigung von mindestens drei gewerblichen Arbeitnehmern und einem Angestellten zugrunde.

Der Beklagte betrieb als Einzelunternehmer im streitgegenständlichen Zeitraum 2011 bis 2013 einen Gewerbebetrieb, in dem unstreitig zumindest auch Gerüstbauarbeiten angefallen sind. Gerüste wurden zur Baustelle transportiert, auf- und abgebaut und in einem Lager vorgehalten. Nach Angaben des Beklagten wurden daneben noch Tätigkeiten im Garten- und Landschaftsbau sowie im Bereich Raumausstatter erbracht.

Das Hauptzollamt (kurz: HZA) A hat im Jahr 2014 eine Baustellenüberprüfung vorgenommen und in diesem Zuge eine Personenbefragung durchgeführt. Dabei gaben die Befragten an, als Gerüstbauer gearbeitet zu haben. Hinsichtlich der Einzelheiten der in zweiter Instanz zur Akte gereichten Personenerfassungsbögen wird verwiesen auf Bl. 166 - 170 der Akte.

In dem Kalenderjahr 2011 waren folgende Arbeitnehmer bei dem Beklagten beschäftigt: B, C, D, E (Minijob).

In dem Kalenderjahr 2012 waren folgende Arbeitnehmer bei dem Beklagten beschäftigt: D, E (Minijob), F, G (Büroarbeiten).

In dem Kalenderjahr 2013 waren folgende Arbeitnehmer bei dem Beklagten beschäftigt: D, E (Minijob), H, F, G (Bauleiter).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, in den streitgegenständlichen Jahren Beiträge zum Sozialkassenverfahren zu zahlen. Er stützt sich hierbei auf die Feststellungen des HZA, außerdem habe der Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben vom 23. März 2015 vorgetragen, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich Lagerverwaltung und Logistik gelegen habe. Er hat behauptet, dass die gewerblichen Arbeitnehmer in den Jahren 2011 bis 2013 arbeitszeitlich überwiegend Gerüstbauarbeiten erbracht hätten. Im Einzelnen hätten die Arbeitnehmer die folgenden Arbeiten erbracht: Auf- und Abladen sowie Transportieren von Gerüstteilen vom Lagerplatz zur B...

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