Entscheidungsstichwort (Thema)

Fragerecht des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im tarifpluralen Betrieb. Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Gewerkschaft kann aus eigenem Recht die Unzulässigkeit einer Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis geltend machen.

Die Klägerin (Gewerkschaft) hat auch im tarifpluralen Betrieb gemäß § 9 abs. 3 GG einen Anspruch auf Unterlassung der Frage der Beklagten an ihre Mitarbeiter/innen, ob sie Mitglieder der Klägerin sind, es sei denn, dass die Frage zur Klärung der Anwendung von Arbeitsbedingungen aus einem mit der Klägerin abgeschlossenen Tarifvertrag erforderlich ist.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.02.2011; Aktenzeichen 10 Ca 6462/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.11.2014; Aktenzeichen 1 AZR 257/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Februar 2011 - 10 Ca 6462/10 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt es zu unterlassen, die in ihrem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer schriftlich aufzufordern, schriftlich zu erklären, ob sie Mitglied der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer - GDL - sind oder nicht, es sei denn, dass die Frage zur Klärung der Anwendung von Arbeitsbedingungen aus einem mit der Klägerin abgeschlossenen Tarifvertrag erforderlich ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien jeweils zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Anspruch der Klägerin auf Unterlassung der Frage der Beklagten an ihre Mitarbeiter nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zur Klägerin.

Die Klägerin ist eine tariffähige Gewerkschaft, die u.a. das Fahrpersonal von Nahverkehrsunternehmen, auch im Freistaat A, organisiert. Sie hat ihren Sitz in B und ist Verbandsmitglied der C. Die Beklagte ist ein regional tätiges Unternehmen mit Sitz in D, das auch im Personennahverkehr tätig ist. Sie gehört dem kommunalen Arbeitgeberverband A (KAV) an. Die Arbeitsverträge ihrer Mitarbeiter enthalten sämtlich einen Verweis auf den Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe A (TV-N A). Seit dem 18.08.2006 gab es zwei TV-N A mit inhaltsgleichen Regelungen, einen mit der C und einen mit der Gewerkschaft E.

Im Jahre 2010 kündigten beide Arbeitnehmerorganisationen den Tarifvertrag und führten über den Ablauf der Friedenspflicht am 30.06.2010 hinaus gemeinsame Verhandlungen mit der KAV A über einen neuen Tarifabschluss. Am 20.08.2010 verließ die C die gemeinsamen Verhandlungen und erklärte mit Schreiben vom 25.08.2010 (Bl. 12 d.A.) die Verhandlungen auch formal für gescheitert. Am selben Tag rief sie ihre Mitglieder zur Urabstimmung über Streikmaßnahmen auf. Die Gewerkschaft E und die KAV A hingegen erzielten noch am 20.08. 2010 eine Einigung, wonach ab dem 01.09.2010 die Entgelte erhöht und im September zudem eine Einmalzahlung erfolgen sollte.

Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 25.0.8.2010 (Bl. 62-64 d.A.) ihre Mitarbeiter über Verlauf und Ergebnis der Tarifverhandlungen. Sie wies darauf hin, dass Mitglieder der Klägerin Ansprüche aus der Einigung mit E nicht geltend machen könnten und forderte alle Mitarbeiter auf, ihr unter Verwendung des mitübersandten Antwortformulars bis spätestens 10.09.2010 mitzuteilen, ob sie Mitglieder der Klägerin seien. Weiter wies sie darauf hin, dass die Tarifeinigung erst nach erfolgter Rückmeldung in der Entgeltabrechnung umgesetzt werde könne und versicherte, die Antwort werde ausschließlich für die Prüfung eines Anspruchs auf die Tarifeinigung mit der Gewerkschaft E verwendet. Die C forderte die Beklagte mit Schreiben vom 30.08.2010 (Bl. 13 d.A.) zur Unterlassung der aus ihrer Sicht rechtswidrigen Frage auf. Die Beklagte hingegen sah sich zur Feststellung des Mitarbeiterkreises, der Ansprüche auf die Tarifeinigung mit E geltend machen könne, zur Fragestellung berechtigt.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens, der Rechtsansichten der Parteien und der vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 81 - 84 d. A.).

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 15.02.2011 (Az.: 10 Ca 6462/10) dem Hauptantrag stattgegeben, weil die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zur Klägerin unter jeder denkbaren Konstellation das Koalitionsrecht der Klägerin verletze. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 175 - 181 d.A.).

Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.04.2011 zugestellte Urteil am 04.05.2011 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.07.2011 - am 20.07.2011 begründet.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Anerkennung der Tarifpluralität durch die höchstrichterliche Rechtsprechung die Anerkennung ...

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