Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung der Nachweispflicht als Kündigungsgrund. Mitteilung der Inhaftierung. Unmöglichkeit der Arbeitsaufnahme. Verletzung von Nebenpflichten als Kündigungsgrund

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verletzung der Anzeigepflicht über eine Unmöglichkeit der Arbeitserbringung ist an sich geeignet, eine fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 22.03.2012; Aktenzeichen 21 Ca 4130/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.03.2015; Aktenzeichen 2 AZR 517/14)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2012 - 21 Ca 4130/11 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um die Rechtmäßigkeit zweier außerordentlicher und einer ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte ist ein IT-Unternehmen und beschäftigt in ihrem Betrieb Rhein Main regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Der am XXX geborene, ledige, mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger ist ausgebildeter Dipl.-Informatiker und seit 1. Dezember 2000 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt ca. 4500 € beschäftigt. Maßgeblich ist der zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag sowie die dort in Bezug genommenen Ergänzungsbestimmungen zum Anstellungsvertrag (Bl. 12-21 der Akten).

Anfang 2011 versetzte die Beklagte den Kläger von der Betriebsstätte F in die Betriebsstätte M und übertrug ihm die Erstellung eines Handbuchs. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Ausübung des Direktionsrechts wirksam erfolgt ist. Zu einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme in der Betriebsstätte M kam es wegen Krankheit und wegen bis 13. Mai 2011 genehmigtem Erholungsurlaub des Klägers nicht. Mit Mail vom 26. April 2011 bat der Kläger seinen Vorgesetzten, Herrn S, ihn im Hinblick auf das über die Wirksamkeit der Versetzung anhängige Arbeitsgerichtsverfahren bis 4. August 2011 von der Arbeitsleistung freizustellen. Dies lehnte Herr S unter dem 29. April 2011 ab und teilte dem Kläger mit, dass er ihn nach seinem Urlaubsende am 16. Mai 2011 an seinem Arbeitsplatz erwarte.

Auf der Grundlage eines Haftbefehls des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 16. Februar 2011-213 Ls - 641 Js 35458/09 (Bl. 181-205 der Akten) wurde der Kläger am 28. April 2011 anlässlich eines gegen ihn geführten Strafverfahrens im Gerichtssaal verhaftet. Hierbei war im Auftrag der Beklagten als Beobachterin die Rechtsanwältin Dr. T zugegen. Der Kläger wurde in Untersuchungshaft in die JVA W gebracht. Dort befand er sich bis zur Hauptverhandlung am 8. November 2011. Während dieser Zeit meldete er sich bei der Beklagten nicht. Er informierte sie nicht über seinen derzeitigen Aufenthaltsort und teilte ihr auch nicht mit, dass und aus welchen Gründen er an einer Arbeitsleistung gehindert ist. Mit Schreiben vom 20. Mai 2011 (Bl. 136 der Akten) mahnte die Beklagte den Kläger wegen unentschuldigtem Fehlen ab. Der Zugang des Schreibens beim Kläger ist zwischen den Parteien streitig. Unter dem 30. Mai 2011 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers (Bl. 63-66 der Akten). Im Anhörungstermin vor dem Integrationsamt am 9. Juni 2011 erfuhr die Beklagte, dass sich der Kläger in Untersuchungshaft in der JVA W befindet. Mit Bescheid vom 10. Juni 2011, bei der Beklagten eingegangen am 16. Juni 2011, erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, allerdings unter dem Vorbehalt, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren die wirksame Festsetzung des Klägers an die Betriebsstätte der Beklagten in M erfolgt ist und somit die örtliche Zuständigkeit des Integrationsamts M i.S.d. § 87 Abs. 1 SGB IX gegeben ist (Bl. 143-145 der Akten). Mit Schreiben vom 30. Mai 2011 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an, der die Frist zur Stellungnahme verstreichen ließ, ohne eine Stellungnahme abzugeben. Mit Schreiben vom selben Tag beteiligte die Beklagte die bei ihr gebildete Schwerbehindertenvertretung. Mit Schreiben vom 16. Juni 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich (Bl. 146 d.A.). Das Schreiben ging am 20. Juni 2011 bei der JVA W ein; der Kläger bestreitet den Zugang dieses Kündigungsschreibens nicht.

Unter dem 23. Juni 2011 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung (Bl. 76-86 d.A.), die hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung mit Bescheid vom 7. Juli 2011 erteilt wurde (Bl. 216, 217 d.A). Nach mit Schreiben vom 24. Juni 2011 2011 erfolgter Betriebsratsanhörung und Beteiligung der Schwerbehindertenvertretun...

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