Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzende Vertragsauslegung bei einzelvertraglicher Bezugnahmeklausel auf den BAT in seiner jeweils gültigen Fassung. TVöD. Verfall und Verwirkung. Geltung des TVöD aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahmeklauseln auf den BAT

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird in einem Arbeitsvertrag auf den BAT Bezug genommen, so widerspräche es dem Zweck dieser Bezugnahme, an der Fortgeltung des BAT auch nach Einführung des TVöD und des TVÜ-VKA festzuhalten. Das gilt jedenfalls dann, wenn nicht ersichtlich ist, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages von dem weiteren Bestand des BAT als Grundlage künftiger Tarifverhandlungen ausgingen.

2. Eine ergänzende Auslegung einer zeitdynamischen Bezugnahmeklausel in einem Arbeitsvertrag ergibt, dass mit dessen Einführung das Regelwerk des TVöD Geltung beanspruchen sollte.

3. Macht ein Arbeitnehmer Ansprüche nach dem TVöD erst mehrere Jahre nach dessen Einführung geltend, so sind die Ansprüche gleichwohl nicht verwirkt, wenn er dem Arbeitgeber nicht zu irgendeinem Zeitpunkt zu verstehen gegeben hat, dass er seine Rechte aus dem Arbeitsvertrag nicht mehr geltend machen wolle.

 

Normenkette

TVöD; TVÜ-VKA; BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 26.05.2011; Aktenzeichen 3 Ca 17/11)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 26. Mai 2011 - 3 Ca 17/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Tenor der angefochtenen Entscheidung wird zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass sich die Vergütung des Klägers ab dem 1. August 2006 aus seinem Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in seiner jeweils gültigen Fassung, einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) richtet.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob sich die Vergütung der Klägerin seit dem 1. August 2006 nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (im Folgenden: "TVöD") und dem Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: "TVÜ-VKA") richtet.

Die Klägerin vereinbarte mit dem Partner für psychisch Kranke im Landkreis A B, dem nicht tarifgebundenen Rechtsvorgänger des Beklagten, unter dem 17. April 2002 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage sie seit dem 15. April 2002 als Sozialarbeiterin tätig ist und der auszugsweise die folgenden Regelungen enthält:

"...

1. Allgemeines

Dieser Arbeitsvertrag beruht auf den "Richtlinien für die Errichtung und den Betrieb für Tagesstätten für psychisch Kranke/seelisch behinderte Menschen" des LWV C in der jeweils gültigen Fassung.

1. Einstellung

1.1. ...

1.2. Der Bundes-Angestellten-Tarifvertrag (BAT)/Gemeinden gilt nur, soweit ausdrücklich in diesem Vertrag auf ihn Bezug genommen wird.

3. Vergütung

3.1. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem BAT/Gemeinden in der jeweils gültigen Fassung.

Der Mitarbeiter erhält eine Vergütung, die der Vergütungsgruppe Vb des BAT entspricht.

3.2. Der Mitarbeiter verpflichtet sich, den Arbeitgeber sofort über alle Änderungen, welche die Berechtigung zum Bezug und die Höhe des Ortszuschlags betreffen, zu benachrichtigen. Im Übrigen gelten die Regelungen des Paragraphen 29 BAT (Gemeinden).

3.3. Der Anspruch auf Weihnachtsgratifikation und Urlaubsgeld wird in Anlehnung an den BAT gewährt, jedoch nur in der Höhe der Finanzierungsbewilligung des LWV.

3.4. Alle Verpflichtungen des Arbeitgebers stehen unter dem Refinanzierungsvorbehalt des LWV. Der Verein verfügt über keine eigenen Mittel zu Begründung des Arbeitsverhältnisses. Insofern sind Abschläge vom BAT möglich bis zur Höhe der zugesagten Refinanzierung.

4. Arbeitszeit

4.1. Die Arbeitszeit richtet sich nach den Bestimmungen des BAT (Gemeinden). Die Arbeitszeit beträgt gegenwärtig wöchentlich 19,25 Stunden.

...

7. Urlaub

7.1. Die Dauer des Erholungsurlaubs richtet sich nach den Bestimmungen des BAT (Gemeinden) in der jeweils gültigen Fassung.

7.2. Arbeitsbefreiung kann nach Paragraph 52 BAT (Gemeinden) gewährt werden.

...

11. Ausschlussfrist

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Mitarbeiter oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden.

..."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags vom 17. April 2002 wird auf Bl. 4 ff. d. A. Bezug genommen.

Am 1. Oktober 2005 trat der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) in Kraft, für den Bereich der Sparte Pflege- und Betreuungseinrichtungen der TVöD-B am 1. August 2006.

Für die Jahre 2005 bis einschließlich 2008 schloss die Klägerin mit dem Rechtsvorgänger des Beklagten jeweils eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, in der für das Jahr 2007 aus...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge