Entscheidungsstichwort (Thema)

Beachtlichkeit der Unmöglichkeit im Verfahren nach § 888 ZPO. Unterschied zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit. Relevanz weiterer Kündigungen nach Titulierung nur in Berufung. Unbeachtlichkeit von Folgekündigungen im Zwangsvollstreckungsverfahren. Nicht zu ersetzender Nachteil für effektiven Mindestschutz im Berufungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist der Einwand der Unmöglichkeit zu überprüfen. Unmöglichkeit ist nicht mit Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 2 BGB gleichzusetzen.

2. Der Ausspruch einer weiteren Kündigung nach Titulierung des Weiterbeschäftigungsanspruchs ist im Vollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO unbeachtlich. Der Schuldner kann diesen materiell-rechtlichen Einwand vielmehr nur im Berufungsverfahren nach § 62 Abs. 1 Satz 2, 3 ArbGG i.V.m. §§ 719, 707 ZPO oder im Wege einer Vollstreckungsgegenklage nach den §§ 769, 767 ZPO geltend machen.

3. Verweist man den Schuldner auf die Möglichkeit nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, so muss die Auslegung dieser Norm dem Schuldner im Lichte des Grundsatzes auf effektiven Rechtsschutz aber auch einen gewissen Mindestschutz gewähren. Wendet man insoweit nicht § 769 ZPO analog an, kommt es darauf an, wann ein „nicht zu ersetzender Nachteil“ vorliegt. Ein solcher wäre dann zu bejahen, wenn aufgrund von objektiven Anhaltspunkten die Gefahr bestünde, dass der Gläubiger eine erhebliche Pflichtwidrigkeit, wie z.B. Wettbewerbsverstöße, begehen würde. Ferner ist die Vollstreckung vorläufig einzustellen, wenn das eingelegte Rechtsmittel aus Sicht des Berufungsgerichts offenkundig Erfolg haben wird.

 

Normenkette

ZPO §§ 888, 707, 719 Abs. 1; ArbGG § 62 Abs. 1 Sätze 2-3; BGB § 275 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 22.02.2021; Aktenzeichen 16 Ca 4128/20)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt a.M. vom 22. Februar 2021 - 16 Ca 4128/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im Zwangsvollstreckungsverfahren über die Frage, ob der Gläubiger gemäß einem Urteil des Arbeitsgerichts bis zur Beendigung des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen ist.

Zwischen den Parteien war vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a.M. ein Kündigungsrechtsstreit anhängig. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15. Dezember 2020 den Kündigungsschutzanträgen des Gläubigers stattgegeben und die Schuldnerin verurteilt, den Gläubiger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Leitstellenmitarbeiter weiter zu beschäftigen. Dieses Urteil ist der Gläubigerin am 20. Januar 2021 zugestellt worden. Die vollstreckbare Ausfertigung ist am 5. Januar 2021 erteilt worden. Gegen das Urteil hat die Schuldnerin Berufung bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegt. Das Berufungsverfahren ist derzeit unter dem Az.: 3 Sa 183/21 anhängig.

Mit Schriftsatz vom 6. Januar 2021 hat der Gläubiger einen Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung des titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs gestellt. Mit Beschluss vom 24. Januar 2021 hat das Arbeitsgericht der Schuldnerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15. Februar 2021 eingeräumt. Dieser Beschluss ist unmittelbar an die Schuldnerin, und zwar am 9. Februar 2021, zugestellt, worden.

Mit Beschluss vom 22. Februar 2021 hat das Arbeitsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 3.246,40 Euro festgesetzt (Bl. 102 der Akte). Dieser Beschluss ist der Schuldnerin am 1. März 2021 zugestellt worden. Die Schuldnerin hat hiergegen mit Schriftsatz vom 8. März 2021 sofortige Beschwerde eingelegt.

Mit Schreiben vom 21. April 2021 hat die Gläubigerin eine weitere außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen. Diese ist Gegenstand eines weiteren Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a.M. (16 Ca 2163/21). Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, sie habe erfahren, dass der Gläubiger versucht habe, den Mitarbeiter A am 12. April 2021 abzuwerben.

Am 20. Mai 2021 ist dem Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin die Antragsschrift (förmlich) zugestellt worden (Bl. 128 der Akte).

Zur Begründung der Beschwerde hat die Schuldnerin ausgeführt, der Prozessbevollmächtigte des Schuldners habe zwar den Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin per beA und per Telefax mit Schreiben vom 6. Januar 2021 unter Beifügung einer abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung kontaktiert. Es sei allerdings dabei unterlassen worden, ein vorgefertigtes Empfangsbekenntnis zu übersenden. Des Weiteren sei das rechtliche Gehör verletzt worden. Dem Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin sei zu keinem Zeitpunkt ein Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes gemäß § 888 ZPO zugestellt worden. Der Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes sei offenbar irrtümlich direkt an die Gläubigerin zugestellt worden. Es würden erhebliche Verdachtsmomente gegen den Gläubiger bes...

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