Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgebliches Recht für das Verfahren zur Klärung der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung in Übergangsfällen. Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV-Bau

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das zum 16. August 2014 in Kraft getretene Tarifautonomiestärkungsgesetz mit der Änderung des Rechtsschutzsystems nach den §§ 2a Abs. 1 Nr. 5, 98 ArbGG bei Streit um die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) gilt auch für anhängige Rechtsstreitigkeiten.

2. Ist ein Beschlussverfahren gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG n. F. bei dem zuständigen Landesarbeitsgericht bereits anhängig, ist der Rechtsstreit auszusetzen, es sei denn, "vernünftige" Gründe, die gegen die Wirksamkeit der AVE sprechen, sind nicht ersichtlich. Auf das Vorliegen von "erheblichen Zweifeln" kommt es für den Aussetzungsbeschluss nicht an.

 

Normenkette

TarifAStG; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 2014-08-11, § 98 Abs. 1 Fassung: 2014-08-11, Abs. 6 Fassung: 2014-08-11; TVG § 5 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 01.10.2014; Aktenzeichen 2/10/2 Ca 321/11)

 

Tenor

Der Rechtsstreit wird nach § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in den Verfahren 2 BVAVE 5001/14 über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104 vom 15. Juli 2008, 2540/Beilage) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) und 2 BVAVE 5002/14 über die Wirksamkeit der AVE vom 25. Juni 2010 (Bundesanzeiger Nr. 97 vom 2. Juli 2010, S. 2287) des VTV vom 18. Dezember 2009 ausgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er ist nach näherer Maßgabe zu dem Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes berechtigt. Auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) begehrt er von dem Beklagten Zahlung von Beiträgen für den Zeitraum Juni 2009 bis Dezember 2010 in Höhe von 114.756 Euro. Der Mahnbescheid, mit dem der Rechtsstreit eingeleitet worden ist, datiert vom 10. Februar 2011.

Der Beklagte, der weder Mitglied im A. noch im B. ist, unterhält einen Betrieb, in dem arbeitszeitlich überwiegend Abbruch- und Sanierungsarbeiten erbracht wurden.

Der Beklagte hat in dem Rechtsstreit die Ansicht vertreten, dass die Voraussetzungen für den Erlass der Allgemeinverbindlicherklärung (kurz: AVE) gemäß § 5 Abs. 1 TVG nicht Vorgelegen hätten. Insbesondere sei das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG erforderliche Quorum nicht erreicht, es fehle auch am öffentlichen Interesse für den Erlass der AVE.

Am 16. August 2014 ist das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11. August 2014 (BGBl. 2014 Teil I Nr. 39, 1348 ff.) in Kraft getreten. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 3. September 2014 einen Antrag nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 5, 98 Abs. 1 ArbGG n.F. bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat er die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens beantragt.

Der Kläger wendet sich gegen eine vom Gericht beabsichtigte Aussetzung des Verfahrens nach § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. und meint, dass die neue Gesetzeslage für bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits anhängige Rechtsstreitigkeiten nicht gelten würde. Nach den allgemeinen Regeln könne eine ursprünglich begründete Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht durch nachträgliche Umstände abgeändert werden. Dies sei nach § 17 Abs. 1 GVG für die Frage der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs (sog. perpetuatio fori) und nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO für die sonstige Zuständigkeit des Prozessgerichts vom Gesetzgeber so vorgegeben. Dies gelte auch bei einer Gesetzesänderung.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Neuregelung erfasse auch bereits anhängige Verfahren.

II. Der Rechtsstreit ist nach § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. auszusetzen.

1. Am 16. August 2014 ist das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11. August 2014 (BGBl. 2014 Teil I Nr. 39, 1348 ff.) in Kraft getreten (im Folgenden kurz: TarifautonStG). In dessen Art. 2 ist die Änderung des ArbGG geregelt. § 98 ArbGG sieht nunmehr ein Verfahren im Beschlussverfahren vor, in dem die Wirksamkeit einer AVE mit Wirkung für und gegen jedermann (§ 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG n.F.) geklärt werden soll. Zuständig ist nach § 98 Abs. 2 ArbGG n.F. das Landesarbeitsgericht, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat; im vorliegenden Fall ist dies das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. sieht vor, dass der Rechtsstreit auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Wirksamkeit einer AVE abhängt, bis das Be...

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