Leitsatz (amtlich)

Das eine Gewerbeuntersagung betreffende verwaltungsgerichtliche Verfahren wird nicht gemäß § 173 VwGO i.V.m. der entsprechenden Anwendung des § 240 ZPO kraft Gesetzes unterbrochen, wenn nach dem Erlass des die Gewerbeuntersagung betreffenden Widerspruchsbescheides die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht oder das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Ein Verfahren auf Aufhebung einer gewerberechtlichen Zulassung oder Gewerbeuntersagung betrifft nicht die Insolvenzmasse, sondern die berufliche Betätigung des Gewerbetreibenden.

Einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Gewerbeuntersagung steht in einem derartigen Fall auch die materiell-rechtliche Vorschrift des § 12 GewO nicht entgegen, denn in dieser Vorschrift werden keine Aussagen darüber getroffen, welche prozessrechtlichen Folgen sich insbesondere aus einem Insolvenzverfahren für ein Gerichtsverfahren ergeben, das ein Gewerbeuntersagungsverfahren betrifft.

Aus § 12 GewO folgt auch nicht, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO dazu führt, dass für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden auf einen anderen Zeitpunkt als den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist.

 

Verfahrensgang

VG Gießen (Aktenzeichen 8 E 875/01)

 

Nachgehend

OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 05.09.2012; Aktenzeichen 1 A 10423/12)

Bayerischer VGH (Beschluss vom 16.08.2012; Aktenzeichen 22 ZB 12.949)

 

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es in Bezug auf die Zwangsmittelandrohung in dem Bescheid vom 30. März 2000 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten vorläufig vollstreckbar. Jedoch darf die Klägerin die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Gewerbeuntersagungsverfügung des Beklagten. Die ihren Geschäftsführer persönlich betreffende Gewerbeuntersagung – Untersagungsverfügung des Beklagten vom 31. März 2000 und darauf bezüglicher Widerspruchsbescheid vom 9. März 2001 – ist bestandskräftig geworden, nachdem der Geschäftsführer gegen das am 5. September 2001 verkündete und am 13. September 2001 zugestellte klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen kein Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Klägerin betreibt seit dem 1. März 1983 das Gewerbe „Vertrieb von Bausätzen und Bausystemen”. Dabei geht es um Selbstbauhäuser, Ausbauhäuser, Baustoffe und Bauelemente. Auf die Anregung des Finanzamts Gießen in dessen Schreiben vom 11. März 1999 leitete der Beklagte ein Gewerbeuntersagungsverfahren gegen die Klägerin ein, führte die notwendigen Ermittlungen bei öffentlichen Gläubigern durch und hörte die Klägerin mit Schreiben vom 31. Januar 2000 gemäß § 28 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – HVwVfG – zur Sache an.

Mit Bescheid vom 30. März 2000, zugestellt am 1. April 2000, untersagte der Beklagte der Klägerin die Ausübung des Gewerbes „Vertrieb von Bausätzen und Bausystemen” sowie jede andere selbständige Tätigkeit, soweit sie unter § 35 GewerbeordnungGewO – fällt. Die Untersagung erstrecke sich gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GewO auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte der Beklagte der Klägerin die Schließung ihres Betriebes durch Versiegelung und Verplombung der Betriebsräume und die Unterbindung der Gewerbeausübung durch Sicherstellung von Arbeitsmaterial und Geschäftsunterlagen durch Mitnahme oder Belassung an Ort und Stelle nach Versiegelung/Verplombung an. Für eventuelle Vollstreckungsmaßnahmen wurden vorläufig 500,00 DM veranschlagt. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass die Klägerin am 30. März 2000 dem Finanzamt Gießen 70.139,39 DM, dem Finanzamt Dillenburg 21.174,00 DM und der Stadt Haiger 21.771,10 DM schulde. Den von der Klägerin per Telefax am 3. April 2000 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2001, zugestellt am 10. März 2001, zurück. Dabei stützte der Beklagte sich auf die aktuellen Steuerrückstände bei dem Finanzamt Gießen in Höhe von 122.077,95 DM, bei dem Finanzamt Dillenburg in Höhe von 27.268,85 DM und bei der Stadt Haiger in Höhe von 20.771,10 DM.

Am 2. April 2001 hat die Klägerin Klage erhoben und dem Verwaltungsgericht mit Anwaltsschriftsatz vom 24. August 2001 unter Beifügung einer Kopie des Beschlusses des Amtsgerichts Wetzlar vom 21. August 2001 – 3 IN 195/00 – mitgeteilt, bei dem Amtsgericht sei Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden. Das Amtsgericht habe die vorlä...

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