Entscheidungsstichwort (Thema)

fristlos. Hauptfürsorgestelle. Kündigung. Ordentlich. Zustimmung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung bei der beantragten Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung hat die Hauptfürsorgestelle die geltend gemachten Kündigungsgründe unter Berücksichtigung des besonderen Schutzzweckes des Schwerbehindertenrechts gegen die Interessen des Schwerbehinderten abzuwägen.

Etwas anderes gilt möglicherweise dann, wenn die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine ordentliche Kündigung offentsichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen.

2. Die Gefahr weiterer Arbeitslosigkeit und eines drohenden sozialen Abstieges sind nur dann ein gewichtigerer Belang des Schwerbehinderten gegenüber den Arbeitgeberinteressen, wenn dem Schwerbehinderten im Vergleich zur Gruppe der Schwerbehinderten ein über die allgemeine Belastung hinaus gehendes Sonderopfer abverlangt wird.

 

Normenkette

BGB § 626; SchwbG §§ 15, 21 Abs. 4, §§ 25-26

 

Tatbestand

Der – arbeitslose – Kläger wendet sich gegen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Hauptfürsorgestelle des Beklagten.

Der 1955 geborene Kläger ist durch Bescheid des Versorgungsamtes Mainz vom 12. Dezember 1984 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. anerkannt, unter anderem wegen Hirntraumafolgen mit geringer Leistungsbeeinträchtigung. Er ist Vater eines unterhaltsberechtigten Kindes. Nach einer Umschulung zum Sozialversicherungsfachangestellten war er seit dem 01. Juli 1984 bei der Betriebskrankenkasse der Firma R., die dem Verfahren mit Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 02. November 1988 beigeladen wurde – im folgenden Beigeladene –, beschäftigt und zuletzt in der Buch- und Rechnungsführungsabteilung eingesetzt.

Der Kläger wurde zu Beginn seiner Tätigkeit am 02. Juli 1984 gemäß § 5 Datenschutzgesetz auf die Wahrung des Sozialgeheimnisses nach § 35 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) verpflichtet.

Am 25. April 1985 wurde der Kläger zum stellvertretenden Vertrauensmann der Schwerbehinderten für die Region 14 der Beigeladenen mit ca. 2000 Beschäftigten und etwa 20 Schwerbehinderten gewählt. Aufgaben als stellvertretender Vertrauensmann der Schwerbehinderten nahm der Kläger nicht wahr.

Am 17. November 1986 ermahnte der Datenschutzbeauftragte der Beigeladenen den Kläger schriftlich wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen.

Unter dem 16. Dezember 1987 übersandte ein Wiesbadener Bürger der Beigeladenen eine sogenannte Sachbuchauskunft der Betriebskrankenkasse, die er in einer Mülltonne des Anwesens G.-straße 25 in W., dem zweiten Wohnsitz des Klägers, gefunden hatte. Bei der aufgefundenen Sachbuchauskunft, die das Datum 27. Januar 1987 trägt, handelt es sich um einen weiteren Ausdruck aus der Datenverarbeitungsanlage der Beigeladenen. Sie enthält die Bezeichnung „BKK R.” sowie Buchungen zu Beitragseinnahmen (Gesamtsozialversicherungsbeiträge) und die Namen von Beitragszahlern, zum Teil mit weiteren Textinformationen.

Am 21. Dezember 1987 erklärte der Kläger hierzu befragt gegenüber dem Geschäftsführer der Betriebskrankenkasse der Beigeladenen, er habe die Sachbuchauskunft vom 27. Januar 1987 mit nach Hause genommen. Am 30. Dezember 1987 beantragte die Beigeladene bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers mit der Begründung, der Kläger habe durch sein Verhalten im Zusammenhang mit der in einer Mülltonne aufgefundenen Sachbuchauskunft in besonders krasser Weise gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen.

Im Rahmen einer schriftlichen Anhörung gab der Kläger unter dem 04. Januar 1988 unter anderem an, er habe die Unterlagen – die Monatsabrechnung betreffend – Anfang/Mitte 1987 ausschließlich zu Lernzwecken in seine Wohnung mitgenommen, um ein Bearbeitungskonzept für eine Monatsabrechnung zu erstellen. Dies habe er dem Abteilungsleiter mitgeteilt. Die Unterlagen habe er zwischen gesammelten Zeitungen aufbewahrt. Seine Lebensgefährtin habe die Zeitungen in den Müll geworfen, ohne zu bemerken, daß sich zwischen den Zeitungen noch andere Unterlagen befunden hätten.

Der Betriebsrat der Beigeladenen und der Vertrauensmann der Schwerbehinderten widersprachen in ihren Stellungnahmen vom 07. Januar 1988 der Kündigung nicht.

In einem im Betrieb der Beigeladenen von der Hauptfürsorgestelle am 11. Januar 1988 durchgeführten Erörterungstermin erklärte der Kläger u.a., er habe nach vorheriger Information des Abteilungsleiters der Buch- und Rechnungsführung die Sachbuchauskunft mit nach Hause genommen, um sie sich von seiner Lebensgefährtin, die mit buchhalterischen Aufgaben vertraut sei, erläutern zu lassen. Der Abteilungsleiter der Buch- und Rechnungsführung der Beigeladenen bestritt, eine entsprechende Erlaubnis zur Mitnahme der Sachbuchauskunft gegeben zu haben.

Mit Bescheid vom 12. Januar 1988 erteilte die Hauptfürsorgestelle der Beklagten die Zustimmung zur vorgesehenen außerorde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge