Leitsatz

Gegenstand des Verfahrens war der Verbleib eines im Juli 2006 geborenen Kindes in seiner Pflegefamilie. Die leiblichen Eltern begehrten die Herausgabe des Kindes an sich.

 

Sachverhalt

Die Beteiligten zu 1) und 2) waren die gemeinsam sorgeberechtigten nicht verheirateten Eltern eines am 25.7.2006 geborenen Kindes. Die Beteiligten zu 3) und 4) waren dessen Pflegeeltern, bei denen sich das Kind in der Familienpflege befand.

Im September und Oktober 2007 kam es zu zwei stationären Krankenhausaufenthalten des Kindes. Bei dem zweiten Krankenhausaufenthalt entstand aufgrund lebensbedrohlicher Kopfverletzungen der Verdacht, dass das Kind an einem "battered-child-Syndrom" leide. Die bei dem ersten Krankenhausaufenthalt behandelten Oberschenkelverletzungen wurden nachträglich auf gewaltsame Verdrehungen zurückgeführt.

Die Eltern habe eine Misshandlung verneint. Die Kindesmutter hat die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass ihre Eltern oder Schwiegereltern, bei denen das Kind gelegentlich übernachtet habe, die Verletzungen verursacht haben könnten. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es zu den Verletzungen beim ersten Krankenhausaufenthalt gekommen sei.

Das gegen die Eltern eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.

Nachdem sich das Kind zunächst in Kurzzeitpflege befunden hatte, lebte es seit Februar 2007 bei Pflegeeltern, den Beteiligten zu 3) und 4).

Die Beteiligten zu 1) und 2) - die leiblichen Eltern - hatten inzwischen ein weiteres Kind, eine im Jahre 2008 geborene Tochter, die bei ihnen lebte. Das AG hat ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf dessen Grundlage der Verbleib des im Jahre 2006 geborenen Kindes bei den Pflegeeltern angeordnet wurde.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2), mit der sie die Herausgabe des Kindes oder hilfsweise an die Eltern des Beteiligten zu 2) beantragten.

Das Rechtsmittel der leiblichen Eltern hatte in der Sache Erfolg.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des OLG lagen die Voraussetzungen für eine "Verbleibensanordnung" nach § 1632 Abs. 4 BGB nicht vor.

Komme es zu einer Kollision zwischen den Interessen der Eltern an einer Herausgabe des Kindes und den Interessen des Kindes und des Kindeswohls, so verlange die Verfassung eine Auslegung der Regelung, die sowohl der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trage als auch den Grundrechten der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG (BVerfG FamRZ 2004, 771 f.). Zu berücksichtigen seien darüber hinaus die ebenfalls durch Art. 6 Abs. 2 und 3 GG geschützten Interessen der Pflegeeltern (BVerfG FamRZ 2000, 1489 f.). Das OLG verwies insoweit auf die Entscheidung des BVerfG vom 23.8.2006 (FamRZ 2006, 1593), in der die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung aufgeführt seien.

Eine gerichtliche Entscheidung, nach der die Trennung des Kindes von seinen Eltern fortdauern könne, sei mit dem in Art. 6 Abs. 2 und 3 gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbart, wenn ein überwiegendes auch unverschuldetes Fehlverhalten und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls vorlägen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigte den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 GG zukommenden Wächteramtes, jene von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Das elterliche Fehlverhalten müsse daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet sei.

Im Übrigen dürfe die Aufrechterhaltung der Trennung eines Kindes von seinen Eltern nur unter strikter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Der Staat müsse nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen zu erreichen.

Das OLG vertrat im Ergebnis die Auffassung, eine Anwendung der dargelegten Grundsätze ergebe, dass dem Herausgabeverlangen der Eltern stattzugeben sei. Ein schwerwiegendes Verhalten der Eltern könne nicht festgestellt werden. Entscheidend sei allein, ob der Umstand, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern eine erhebliche psychische Belastung für das Kind bedeute, ausreichender Grund dafür sein könnte, seinen Verbleib im Haushalt der Pflegeeltern anzuordnen. Dies wurde vom OLG verneint.

Das OLG bezog sich insoweit auf das Sachverständigengutachten, wonach eine Gefährdung des Kindeswohls nicht zwangsläufig eintreten müsse. Der Sachverständige habe insbesondere der Gefahr psychischer Störungen keinen Grad der Wahrscheinlichkeit zuordnen können. Die Lebensentwicklung sei insoweit nicht vorauszusagen.

Danach könne zwar davon ausgegangen werden, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das Kind aufgrund der Trennung von den Pflegeeltern psychische Störungen entwickeln werde. Immerhin bes...

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