Leitsatz

Der Gläubiger einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann ein berechtigtes Interesse an der Erteilung vollständiger Grundbuchauszüge der einzelnen Wohnungseigentümer haben. Einen Vollstreckungstitel muss er hierzu noch nicht erlangt haben.

 

Normenkette

§ 10 Abs. 6 WEG; § 12 GBO

 

Das Problem

  1. B beantragt beim Grundbuchamt die Übersendung unbeglaubigter Abschriften aus näher bezeichneten Wohnungsgrundbüchern, beschränkt jeweils auf die Abteilung I. Zur Begründung führt B an, sie führe ein Verfahren gegen die Wohnungseigentümer wegen Forderungen aus einem Aufzugsservicevertrag und wegen einem solchen auf Aufzugsmodernisierung.
  2. Das Grundbuchamt weist darauf hin, dass lediglich beglaubigte Teilauszüge erteilt werden könnten und insofern Kosten in Höhe von 200 EUR entstünden, womit sich B nicht einverstanden erklärt. B beantragt die Erteilung vollständiger Abschriften aller Wohnungsgrundbuchblätter der Wohnungseigentümer, was das Grundbuchamt als "Beschwerde" ansieht. Diese weist es zurück. Hiergegen richtet sich B's Beschwerde.
 

Die Entscheidung

  1. Die Beschwerde hat Erfolg! B seien vollständige Abschriften sämtlicher Wohnungsgrundbuchblätter in der Form von Ausdrucken, § 78 Abs. 1 Satz 1 GBV, zu erteilen. Denn die Einsicht des Grundbuchs sei jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlege, § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO. Soweit die Einsicht des Grundbuchs gestattet sei, könne eine Abschrift gefordert werden, § 12 Abs. 2 Halbsatz 1 GBO. Die Darlegung eines berechtigten Interesses erfordere einen nachvollziehbaren Vortrag von Tatsachen in der Weise, dass dem Grundbuchamt daraus die Überzeugung von der Berechtigung des geltend gemachten Interesses verschafft werde. Denn das Grundbuchamt habe in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme das schutzwürdige Interesse der Eingetragenen verletzt werden könnte, Unbefugten keinen Einblick in ihre Rechts- und Vermögensverhältnisse zu gewähren. Ein Gläubiger des eingetragenen Eigentümers könne unter dem Gesichtspunkt der Information über Zugriffsmöglichkeiten im Wege der Zwangsvollstreckung ein berechtigtes Interesse an der umfassenden Einsichtnahme in das Grundbuch geltend machen, auch dann, wenn er noch keinen Vollstreckungstitel habe.
  2. Vor diesem Hintergrund lägen die Voraussetzungen zur Erteilung vollständiger Ausdrucke aus den bezeichneten Grundbuchblättern vor. Jeder Wohnungseigentümer hafte einem Gläubiger für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach dem Verhältnis seines Miteigentumsanteils, § 10 Abs. 8 S. 1 Halbsatz 1 WEG. Diese Haftung bestehe gleichzeitig und unmittelbar neben der Haftung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (Hinweis auf Hügel/Elzer, WEG, 1. Auflage, § 10 Rn. 304). In diesem Rahmen könnten auch Ansprüche der Beteiligten gegen die Wohnungseigentümer auf Einräumung von – anteiligen – Sicherungshypotheken bestehen.
 

Kommentar

Anmerkung
  1. Ein berechtigtes Interesse an einer Grundbucheinsicht ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamtes – bzw. des Beschwerdegerichts, §§ 74, 77 GBO – ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann. Dabei reicht regelmäßig das Vorbringen sachlicher Gründe aus, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen.
  2. § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Andererseits genügt nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers; die Verfolgung unbefugter Zwecke oder reiner Neugier muss ausgeschlossen und die Kenntnis vom Grundbuchstand für den Antragsteller aus sachlichen Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das folgt aus dem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung der durch die Grundbucheinsicht Betroffenen, welches bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs einzubeziehen ist.
  3. Verträge in einer Wohnungseigentumsanlage werden grundsätzlich von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geschlossen. Die Wohnungseigentümer sind jeweils "Nichtvertragspartei". Den Aufzugsservicevertrag bzw. den zur Aufzugsmodernisierung dürfte daher im Fall die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geschlossen haben. Für deren Verbindlichkeiten haftet freilich jeder Wohnungseigentümer nach § 10 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 WEG "pro rata". Es ist daher richtig, wenn der Gläubiger auch die Namen der mithaftenden Wohnungseigentümer erfahren will.

§ 10 Abs. 8 WEG

Jeder Wohnungseigentümer haftet einem Gläubiger nach dem Verhältnis seines Miteigentumsanteils (§ 16 Abs. 1 Satz 2) für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, die während seiner Zugehörigkeit zur Gem...

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