Rz. 94

Da die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-VO bzw. EUEheVO 2003) keine Scheidungsfolgen – mit Ausnahme der Regelung der elterlichen Verantwortung – umfasst, ist für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit betreffend die finanziellen Scheidungsfolgen vorrangig noch die EU-UnterhaltsVO,[122] i.Ü. das autonome Recht Englands maßgeblich.

 

Rz. 95

Ob eine Unterhaltsfrage i.S.d. EU-UnterhaltsVO betroffen ist, ist autonom zu bestimmen. Da englische Gerichte über alle finanziellen Scheidungsfolgen zusammengefasst entscheiden, kann diese Entscheidung nicht aufgespalten, sondern muss einheitlich behandelt werden.[123] In der Regel wird, sofern es nicht (wie bei besonders wohlhabenden Ehegatten) vorrangig um die Teilung des ehelichen Vermögens geht, der unterhaltsrechtliche Charakter im Vordergrund stehen, da nach englischem Recht auch einmalige Zahlungen oder Vermögensübertragungen in erster Linie zur Versorgung des Ehegatten gewährt werden können.[124]

 

Rz. 96

Im autonomen Recht Englands ist die internationale Zuständigkeit nur teilweise gesetzlich geregelt:

Wird in England eine Scheidung oder gerichtliche Trennung ausgesprochen, geht man davon aus, dass aus der Regelung des s. 23 MCA 1973 auch die Zuständigkeit für die Scheidungsfolgensachen folgt.[125]
Wird dagegen der Antrag auf financial orders in England erst nach eine Scheidung im Ausland gestellt, ist nach s. 15 Matrimonial and Family Proceedings Act 1984 die internationale Zuständigkeit nur eröffnet, wenn eine der Parteien zum Zeitpunkt der Antragstellung oder im Zeitpunkt, als die Scheidung im Ausland wirksam wurde, in England domiziliert war oder mindestens ein Jahr lang vor einem dieser Zeitpunkte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in England hatte.
 

Rz. 97

Zu beachten ist, dass ein Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen nach einer im Ausland erfolgten Scheidung erst nach Zulassung durch das englische Gericht erfolgen kann. Ferner soll das englische Gericht vor Erlass einer entsprechenden order besonders prüfen, ob es unter Berücksichtigung aller Umstände das geeignete Forum ist.[126]

[122] Europäische Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen; vgl. dazu Allgemeiner Teil § 1 Rdn 199 ff. in diesem Werk.
[123] Vgl. IPG (Hamburg) 1999 Nr. 24 zur entsprechenden früheren kollisionsrechtlichen Qualifikation.
[124] Vgl. Cheshire, North & Fawcett, S. 1065; kollisionsrechtlich wurde eine Einmalzahlung nach englischem Recht auch vom EuGH in Van den Boogard v. Laumen [1997] 2 FLR 399 unterhaltsrechtlich qualifiziert.
[125] Vgl. Dicey, Morris & Collins Rule 99 (9); Bergmann/Ferid/Henrich, Länderbericht Großbritannien, III. A. 3., S. 31 f.
[126] Vgl. näher ss. 13, 15 Matrimonial and Family Proceedings Act 1984.

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