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Für die in Griechenland lebenden Muslime gilt hinsichtlich ihrer personen-, familien- und erbrechtlichen Verhältnisse das islamische Recht.[104] Das Letztere verdrängt bei solchen Angelegenheiten das sonst herrschende griechische Recht. Die Anwendung des islamischen Rechts für die in Thrakien (ein Bezirk im Nordosten Griechenlands) lebenden Muslime beruht auf dem Athener Vertrag von 1913, der die Respektierung ihres Gewohnheitsrechts gewährleistet. Darüber hinaus sind die Befugnisse der Muftis[105] festgelegt, innerhalb derer sie unter den Muslimen Recht sprechen dürfen. Art. 4 des Gesetzes Nr. 147/1914 lässt den vorerwähnten Vertrag zwischen Griechenland und der Türkei weiter gelten. Die Anwendung der religiösen muselmanischen Gesetze für die griechischen Muslime wird durch den Lausanner Vertrag von 1923 ebenfalls bestätigt. Der rechtliche Status der muslimischen Minderheit hat sich auch nach dem Inkrafttreten des griechischen Zivilgesetzbuches (23.2.1946) nicht geändert. Art. 6 des Einführungsgesetzes zum ZGB hat Art. 4 des Gesetzes Nr. 147/1914 nicht aufgehoben. Das Gesetz Nr. 1920/1991 hat auch nichts hinsichtlich der rechtlichen Befugnisse des Muftis geändert, da sie durch internationale Verträge bestätigt werden. Dieses Gesetz hat allein einige Probleme über das Verfahren und die Qualifikationen für die Ernennung der Muftis gelöst. Außer seinen religiösen Aufgaben hat der Mufti auch die Befugnis, die Rechtsregeln des Korans anzuwenden, die sich auf die Ehe, die Ehescheidung, die Unterhaltspflichten usw. der Muslime beziehen.[106] Durch das Gesetz Nr. 4511/2018 und das Präsidialdekret Nr. 52/2019 ist das Verfahren vor dem Mufti umfassender geregelt worden, so dass die rechtsstaatlichen Garantien gewahrt werden.

[104] Siehe hierzu Papasiopi-Pasia, Das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht in den griechischen und internationalen Konfliktsnormen, S. 244 ff.; Stamatiadis, Die Ehescheidung im deutsch-griechischen Rechtsverkehr, S. 190; Mekos, Die Befugnisse des Muftis und die griechische Legislation.
[105] Der Mufti ist grundsätzlich der höhere religiöse Führer der Muslimen, der auch die Rolle eines Rechtslehrers übernimmt.
[106] Die ganze Regelung wirft einige Fragen über die Verfassungsmäßigkeit des vom Mufti angewandten Rechts auf, auf die im Rahmen des vorliegenden Beitrages nicht eingegangen werden kann.

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