Rz. 20

Der für den die Einzelzwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger gefährliche Zeitraum ist insbesondere derjenige, der 3 Monate vor der Insolvenzantragstellung besteht. (sog. Krise). Nach BGH-Rechtsprechung ist eine während dieser kritischen Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen und damit anfechtbar (BGHZ 136, 309, 311 ff.; 157, 350, 353; BGH WM 2002, 1193 = ZIP 2002, 1159 =  BB 2002, 1338 = ZInsO 2002, 581 = NZI 2002, 378 = NJW 2002, 2568 = MDR 2002, 1027 = BGHReport 2002, 803 = DB 2002, 1993 = KTS 2002, 562; Mock, Vollstreckung effektiv 2008, 41). Die Anfechtungsvorschriften begründen die Möglichkeit, Verringerungen des Schuldnervermögens rückgängig zu machen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sind. Um dieses Ziel zu erreichen, verschafft die Insolvenzordnung in § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Rückgewähranspruch in Form eines schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs (BGH, NZI 2007, 42 = ZIP 2006, 2176 = ZInsO 2006, 1217 = NJW-RR 2007, 121 = MDR 2007, 490). Die Insolvenzmasse soll dadurch so gestellt werden, als hätte es die anfechtbare Rechtshandlung nicht gegeben.

5.1.2.1 Vorpfändung und Hauptpfändung fallen in die Krise

 

Rz. 21

Werden beide Pfändungen während der Krise vorgenommen, sind sie jeweils anfechtbar und wirkungslos.

5.1.2.2 Vorpfändung und Hauptpfändung liegen vor der Krise

 

Rz. 22

Liegen sowohl Vor- als auch Hauptpfändung vor der Krise, genießen sie in der Insolvenz des Schuldners Bestandsschutz und sind anfechtungs- und daher insolvenzfest.

Der Gläubiger hat somit ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gem. § 50 Abs. 1 InsO mit der Folge, dass ein Anspruch darauf besteht, dass er aus dem Erlös der Forderung vorzugsweise aus der Insolvenzmasse befriedigt wird. Insoweit befindet sich ein solcher Gläubiger außerhalb der quotalen Ausschüttungen an die Insolvenzgläubiger (Mock, Vollstreckung effektiv 2008, 41).

5.1.2.3 Vorpfändung liegt vor der Krise, Hauptpfändung fällt in die Krise

 

Rz. 23

Es stellt sich die Frage der Insolvenzfestigkeit, wenn die Vorpfändung außerhalb, die nachfolgende Hauptpfändung aber innerhalb des Anfechtungszeitraumes liegt. Aus dem Grundsatz, dass die Pfändung der Forderung rückwirkend ab dem Tag der Zustellung des vorläufigen Zahlungsverbots gilt, sofern binnen eines Monats dem Drittschuldner der endgültige Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt wird folgt, dass der Gläubiger in der Insolvenz eine sichere Position haben müsste. Der BGH und das BAG (NZA 2019, 203) haben diese Ansicht verneint. Die Vorpfändung hat keine Absonderungskraft gemäß § 50 Abs. 1 InsO (BAG, ZInsO 2104, 141). BGH und BAG sindvielmehr der Auffassung, dass wenn die Hauptpfändung in die "kritische" Zeit fällt und sie nach § 131 InsO anfechtbar ist, eine zuvor ausgebrachte Vorpfändung ihre Wirkung verliert. Sie begründet somit keine Insolvenzfestigkeit, da hierfür die Wirksamkeit der Hauptpfändung Voraussetzung ist. Um eine Insolvenzfestigkeit zu begründen, kommt es in derartigen Fällen auf die Vorschrift des § 140 Abs. 1 InsO an. Diese bestimmt, dass eine Rechtshandlung dann wirksam wird, wenn ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Im Fall der Vorpfändung ist für den Insolvenzbestand die wirksame Hauptpfändung notwendig. Beide Pfändungen sind Ausdruck des Prioritätsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung. Innerhalb der Krise der Insolvenz hat dieser jedoch dem Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz zu weichen. Die Vorpfändung hat insolvenzrechtlich keine Auswirkungen, abgestellt werden muss auf die Hauptpfändung.

5.1.2.4 Übersicht: Vorpfändung, Insolvenz, Einzelzwangsvollstreckung

 

Rz. 24

 
Zeitpunkt Vorpfändung Zeitpunkt Hauptpfändung Wirkungen
Innerhalb der letzten drei Monate vor InsO-Antragstellung Innerhalb der letzten drei Monate vor InsO-Antragstellung Beide Rechtshandlungen sind anfechtbar und wirkungslos
Vor den letzten drei Monaten vor InsO-Antragstellung Vor den letzten drei Monaten vor InsO-Antragstellung Beide Rechtshandlungen sind nicht anfechtbar und damit insolvenzfest; der Gläubiger hat ein Absonderungsrecht (§ 50 Abs. 1 InsO)
Vor den letzten drei Monaten vor InsO-Antragstellung Innerhalb der letzten drei Monate vor InsO-Antragstellung Vorpfändung verliert durch Anfechtbarkeit der Hauptpfändung ihre Wirkung

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge