Rz. 1

Die Möglichkeiten der Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung sind in der ZPO abschließend geregelt (BGH, NJW-RR 2016, 319). Die Vorschriften der §§ 775 und 776 ZPO unterscheiden zwischen Einstellung und Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf der einen Seite und Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme auf der anderen Seite. Die Vorschrift des § 775 ZPO enthält Hinderungsgründe (unterschieden in Einstellung und Beschränkung), die den Fortgang der nach Gläubigerantrag von Amts wegen zu betreibenden Zwangsvollstreckung aufhalten (Zöller/Geimer, § 775 Rn. 1). Sie ist notwendig, weil selbst dann, wenn gerichtlich über die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung entschieden wurde, dieselbe damit nicht ohne weiteres hinfällig wird, denn für die Einstellung der Zwangsvollstreckung bzw. für die Aufhebung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ist stets nur das Vollstreckungsorgan zuständig. Hierbei handelt es sich auch um materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Titel (§ 775 Nr. 4 und 5 ZPO), die im formalen Verfahren der Zwangsvollstreckung nur im Rahmen dieser Bestimmung berücksichtigt werden können (AG Düsseldorf, v. 7.5.2013, 667 M 661/13, juris). Eine Ausnahme wird von der Rechtsprechung dann gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen der geltend gemachten materiell-rechtlichen Einwendungen feststehen oder zugestanden sind (OLG Zweibrücken, v. 9.12.2013, 7W 54/13, juris). Die Vorschrift befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zwangsvollstreckung einzustellen oder zu beschränken ist. Die Aufzählung ist erschöpfend (Musielak/Voit/Lackmann, § 775 Rn. 2; Zöller/Geimer, § 775 Rn. 3); für die Anwendung auf andere Fälle ist kein Raum (a. A. KG Berlin, NJW-RR 2000, 1523; Schmidt-v. Rhein, DGVZ 1988, 65). Der Übergang des vollstreckbaren Anspruchs auf einen Dritten ist mit der Klage nach § 767 ZPO geltend zu machen, begründet indes keinen Einstellungsfall nach § 775 ZPO (LG Karlsruhe, DGVZ 1984, 155). Die Vorlage eines gerichtlichen Vergleichs führt nicht zur Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung; § 775 Nr. 1 ZPO ist nicht entsprechend anwendbar (LG Tübingen, JurBüro 1986, 624). Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung beispielsweise nach § 89 InsO fällt ebenfalls nicht unter § 775 ZPO. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist von Amts wegen zu beachten (vgl. § 51 GVGA). Zu den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen zählt auch das Fehlen eines Vollstreckungshindernisses i. S. v. § 775 ZPO (BGH, Beschluss v. 20.10.2021, I ZB 18/21, juris).

 

Rz. 2

Als allgemeine Vorschrift des Zwangsvollstreckungsrechts gilt sie für alle Arten von Zwangsvollstreckungen (LAG Köln, DStR 2021, 626; Zöller/Geimer, § 775 Rn. 2). Sie gilt an sich auch für die Zwangsversteigerung und -verwaltung. Insoweit wird sie allerdings durch die §§ 28 ff. ZVG, §§ 75 ff. ZVG und § 161 Abs. 2 ZVG zum Teil erweitert und im Übrigen auch modifiziert. Im Rahmen der Zwangshypothek (§ 867 ZPO) ist die Regelung des § 868 Abs. 2 ZPO maßgeblich. Keine Anwendung findet die Vorschrift bei der Zwangsvollstreckung eines Titels auf Abgabe einer Willenserklärung (§ 894 ZPO), da ein solcher Titel keines Vollzugs bedarf. § 775 ZPO gilt schließlich auch für die Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Urteilen (§ 167 Abs. 1 VwGO). Für die Zwangsvollstreckung der Finanzbehörden in Sachen gelten die §§ 292, 296 AO; auf diese Vorschriften verweist § 5 Abs. 1 VwVG für die Verwaltungsvollstreckung des Bundes. Die Aufzählung der in § 775 ZPO genannten Einstellungsgründe ist abschließend (BGH, NJW 2008, 3640).

 

Rz. 3

Einstellung und Beschränkung der Zwangsvollstreckung beziehen sich auf den Fortgang derselben. Einstellung bedeutet daher die Nichtfortsetzung bzw. den Nichtbeginn der Zwangsvollstreckung. Beschränkt ist die Zwangsvollstreckung, wenn nur einzelne Maßnahmen nicht fortgesetzt bzw. nicht eingeleitet werden. Aufgehoben ist die Zwangsvollstreckung, wenn eine bereits eingeleitete Vollstreckungsmaßnahme wieder rückgängig gemacht und in ihren Wirkungen beseitigt wird. In allen Fällen des § 775 ZPO können nur Urkunden eine Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung rechtfertigen, aus denen sich nach ihrem eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut unzweifelhaft und ohne Prüfung der materiellen Rechtslage ergibt, dass eine weitere Zwangsvollstreckung unzulässig ist oder nur unter bestimmten Voraussetzungen fortgeführt werden darf (LG Itzehoe, Beschluss v. 30.4.2018, 4 T 76/18 – Juris). Der vorgeschriebene Nachweis der Sicherheitsleistung durch öffentliche Urkunde kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn sich der Einwand des Gläubigers, der Nachweis der Sicherheitsleistung sei nicht durch öffentliche Urkunde geführt, als rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 242 BGB erweist (BGH, NJW-RR 2017, 1342 zu § 20 Abs. 2 AVAG)

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