1 Leitsatz

Wohnungseigentümer zählen zu den Nachbarn i. S. d. Art. 66 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 1 BayBO, wenn sie baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen können, weil der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist.

2 Normenkette

Art. 66 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 1 BayBO

3 Das Problem

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K wendet sich mit einer Klage vom 23.10.2017 gegen eine Baugenehmigung vom 9.8.2017 für eine Nutzungsänderung auf einem benachbarten Grundstück (hier: eine neue Einrichtung für eine schulische Mittagsbetreuung). Das VG weist die Klage wegen Nichteinhaltung der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO als unzulässig ab. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei abzulehnen, weil die Klagefrist nicht unverschuldet versäumt worden sei. K habe damit rechnen müssen, dass eine Baugenehmigung ergehen werde und dass die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung eröffnet sei. Mit ihrem Zulassungsantrag verfolgt K ihr Begehren weiter.

4 Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Beklagte habe die Baugenehmigung öffentlich bekanntmachen dürfen (Art. 66 Abs. 2 Satz 4 Hs. 1 BayBO). Mit den Sondereigentümern sei eine hinreichende Anzahl von 20 Nachbarn (i. S. d. Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO) und damit von Beteiligten gem. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG (Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayBO) im gleichen Interesse beteiligt.

Der Einwand der K, nur sie selbst, nicht jedoch einzelne Wohnungseigentümer, sei befugt, die Rechte wegen Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums geltend zu machen, verfange nicht. Vielmehr habe die Beklagte bei der Bestimmung der Nachbarn i. S. d. Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayBO zu Recht auch die Wohnungseigentümer einbezogen. Die Wohnungseigentümer könnten sich zwar aufgrund der im Bauplanungsrecht gebotenen grundstücksbezogenen Betrachtungsweise nicht mit Erfolg auf die Beeinträchtigung ihres ideellen Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum oder auf die Verletzung nachbarschützender Vorschriften bezogen auf das Gesamtgrundstück berufen. Sondereigentümer könnten aber baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen sei. Vorliegend sei dies der Fall, weil konkrete Beeinträchtigungen des Sondereigentums in Form unzumutbarer Lärmbeeinträchtigungen durch die Benutzer der geplanten Einrichtung sowie durch den An- und Abfahrtsverkehr im Raum stünden.

K habe die Klagefrist auch schuldhaft versäumt. Der Kanzlei ihres Bevollmächtigten sei mitgeteilt worden, dass eine Klage erforderlich sei, was nur Sinn ergebe, wenn die Baugenehmigung bereits ergangen sei. Darüber hinaus habe K damit rechnen müssen, dass eine Baugenehmigung ergehen werde und dass die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung eröffnet sei.

5 Hinweis

Problemüberblick

Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Fraglich kann insoweit sein, ob die von der Beklagten gewählte öffentliche Bekanntmachung der Baugenehmigung zulässig war.

Öffentliche Bekanntmachung der Baugenehmigung

Den Eigentümern der benachbarten Grundstücke sind vom Bauherrn oder seinem Beauftragten der Lageplan und die Bauzeichnungen zur Zustimmung vorzulegen. Hat – wie im Fall – die K für die Wohnungseigentümer nicht zugestimmt oder wird ihren Einwendungen nicht entsprochen, so ist ihr eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen (Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO). Bei mehr als 20 Beteiligten kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im amtlichen Veröffentlichungsblatt der zuständigen Bauaufsichtsbehörde ersetzt werden.

Fraglich ist, ob man die Wohnungseigentümer als Sondereigentümer einzeln zählen darf (in größeren Wohnungseigentumsanlagen wäre dann immer eine öffentliche Bekanntmachung zulässig). Das Gericht bejaht diese Frage.

6 Entscheidung

VGH München, Beschluss v. 14.1.2022, 9 ZB 19.331

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