Bei Anlagen, die dem heute meist im öffentlichen Recht (aber auch in den privatrechtlichen Vorschriften der Landesnachbarrechtsgesetze) geregelten Schutzstandard entsprechen, gewährt das Gesetz keinen vorbeugenden Schutz wegen künftig zu erwartender Einwirkungen. Nach § 907 Abs. 1 Satz 2 BGB kann hier die Beseitigung einer Anlage erst dann verlangt werden, wenn grenzüberschreitende unzulässige Einwirkungen tatsächlich eintreten.

2.3.3.1 Gesetzlicher Schutzstandard

Zwar spricht diese Vorschrift entsprechend dem beim Inkrafttreten des BGB (1.1.1900) bestehenden Rechtszustand nur von landesrechtlichen Vorschriften. Es ist aber allgemein anerkannt, dass sie auch auf bundesgesetzliche Vorschriften entsprechend anwendbar ist, weil beim Inkrafttreten des BGB der spätere Siegeszug vor allem des bundesgesetzlich geregelten öffentlichen Rechts (und hier vor allem des Immissionsschutzrechts) nicht vorhersehbar war.

§ 907 Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich ferner ausdrücklich nur auf den Beseitigungsanspruch bei bereits errichteten Anlagen. Für eine unterschiedliche Behandlung des Anspruchs auf Beseitigung im Verhältnis zum Anspruch auf Unterlassung besteht aber kein Anlass, so dass § 907 Abs. 1 Satz 2 BGB auch auf den Unterlassungsanspruch entsprechend anwendbar ist.[1]

 
Praxis-Beispiel

Vorschriften

Hauptanwendungsfälle für diese Sonderregelung sind zum einen Vorschriften in den Landesnachbarrechtsgesetzen der Bundesländer, die etwa bestimmte Grenzabstände für Anlagen festlegen. Zum anderen kommen öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bundes in Betracht und hier vor allem die Grundpflicht in § 22 Abs. 1 BImschG, wonach alle Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen für die Nachbarschaft etwa durch Lärm oder Gerüche verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind und nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen für die Nachbarschaft auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

[1] So OLG München, Urteil v. 11.1.1954, 5 U 1736/53, NJW 1954, 513.

2.3.3.2 Beispiel Baugenehmigung

Die Konsequenzen des öffentlichen Rechts für den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 907 Abs. 1 BGB werden vor allem am Beispiel der Baugenehmigung deutlich. Mit der Baugenehmigung wird festgestellt, dass ein bestimmtes Vorhaben nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die von der Baubehörde zu prüfen sind. Zu diesem Prüfungsprogramm gehören aber auch die für das öffentliche Immissionsschutzrecht zentralen Bestimmungen des § 22 Abs. 1 BImschG sowie § 15 BauNVO.

Mit der Baugenehmigung stellt die Behörde somit fest, dass die auch dem Schutz der Nachbarschaft dienende Schutzpflicht des § 22 Abs. 1 BImschG erfüllt wird und von dem Vorhaben keine für die Nachbarschaft unzumutbaren Belästigungen oder Störungen im Sinn des § 15 BauNVO ausgehen. Wegen der Übereinstimmung der öffentlich-rechtlichen Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsschwelle und der privatrechtlichen Wesentlichkeitsschwelle ist damit zugleich rechtsverbindlich festgestellt, dass von dem Vorhaben auch keine privatnachbarrechtlich abwehrfähigen Einwirkungen ausgehen, weil nach § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB das private Nachbarrecht gegen schädliche Umwelteinwirkungen etwa durch Lärm und Gerüche keinen weitergehenden Schutz vermittelt als das öffentliche Nachbarrecht.

Die eigentliche Bedeutung des § 907 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt also darin, dass es bei öffentlich-rechtlich genehmigten Vorhaben privatrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche abschneidet.

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