Leitsatz

Bei jeder baulichen Veränderung, Modernisierung oder modernisierenden Instandsetzung müssen sich die Wohnungseigentümer als speziellem Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes mit dem Nutzen der Maßnahme im Verhältnis zu ihren Kosten auseinanderzusetzen

 

Normenkette

§§ 21 Abs. 4, 22 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 WEG

 

Das Problem

  1. In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es 20 Wohnungen. 12 davon haben Balkone, die teilweise sanierungsbedürftig sind. Die Anlage verfügt über eine Ölheizung. Ein Gasanschluss ist bislang nicht gelegt.
  2. Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 lädt der Verwalter zu einer Versammlung am 26. Juni 2012 ein. Dem Einladungsschreiben ist eine gutachterliche Stellungnahme beigefügt. Diese setzt sich mit dem Zustand der Balkone, ihrer Sanierungsbedürftigkeit sowie energetischen Fragestellungen auseinander. Ebenfalls beigefügt ist eine Zusammenstellung der geschätzten Kosten betreffend die Betonsanierung, den Abriss der Balkone und Anbringung verzinkter Stahlbalkone sowie einen Vollwärmeschutz. Beigefügt ist ferner eine Berechnung der Sonderzuführung zur Instandhaltungsrückstellung für die 3 genannten Maßnahmen.
  3. An der Versammlung erläutert ein Architekt das Schadensbild an den Balkonen. Er rät aus energetischen Gründen, die Balkone abzureißen und vorgesetzte, verzinkte Stahlbalkone anzubringen. Gehe man so vor, könne an der Fassade nachträglich auch ein Vollwärmeschutz angebracht werden. Dieses Vorgehen sei energetisch und wirtschaftlich sinnvoller als eine Sanierung der Balkone. Im Übrigen berichtet der Verwalter darüber, dass die Stadtwerke in Kürze Straßenbaumaßnahmen beginnen werden. Für die Wohnungseigentümer bestehe in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, für eine eventuell später geplante Umstellung von Öl auf Gas einen Erdgashausanschluss herstellen zu lassen.
  4. Zu TOP 4 wird dann "beschlossen", dass die Wohnungseigentümer "in einigen Jahren die Anbringung eines Vollwärmeschutzes auf der Fassade planen". Zu TOP 5 wird beschlossen, im Frühjahr 2013 die Balkone abzureißen und verzinkte Stahlbalkone anzubringen. Zu TOP 9 wird der Verwalter beauftragt, einen Gashausanschluss gemäß dem Angebot der Stadtwerke durchführen zu lassen. Die Kosten für diese Maßnahme in Höhe von 2.100 EUR sollen der Rücklage entnommen werden.
  5. Gegen diese 3 Beschlüsse geht ein Wohnungseigentümer vor. Er behauptet, der Vollwärmeschutz sei unwirtschaftlich und amortisiere sich allenfalls in 30 Jahren. Gegen den Abriss der Balkone und Ersatz durch Stahlbalkone wendet er ein, dass jedenfalls sein Balkon in gutem Zustand und nichts zu veranlassen sei. Den Gasanschluss sieht er als keine Verbesserung an.
 

Entscheidung

  1. Die Klage hat jeweils Erfolg. Der Festlegung zum Vollwärmeschutz unter TOP 4 sei ein Beschluss. Bleibe er bestehen, könnte später allenfalls über die Modalitäten gestritten werden. Der Beschluss sei nicht ordnungsmäßig, weil keine Kosten-Nutzen-Analyse vorliege. Es könne dabei dahingestellt bleiben, ob es sich beim Vollwärmeschutz um eine bauliche Veränderung, Modernisierung oder modernisierende Instandsetzung handle. In allen diese Fällen hätten sich die Wohnungseigentümer als speziellen Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes mit dem Nutzen der Maßnahme im Verhältnis zu ihren Kosten auseinanderzusetzen (Hinweis unter anderem auf OLG Hamm v. 18.11.2008, 15 Wx 139/08, WuM 2009 S. 252; OLG Köln v. 5.9.2006, 16 Wx 154/06, WuM 2007 S. 86). Aus § 25 EnEV folge nichts anderes. Vielmehr habe der Gesetzgeber in § 10 Abs. 6 EnEV festgehalten, dass eine Nachrüstung bei bestehenden Gebäuden keine Pflicht sei, soweit die für die Nachrüstung erforderlichen Aufwendungen durch die eintretenden Ersparungen nicht innerhalb angemessener Frist erwirtschaftet werden könnten.
  2. Der Beschluss zu TOP 4 sei schon deshalb für unwirksam zu erklären, weil eine Kosten-Nutzen-Analyse auch hier fehle. Dies gehe einher mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, der bei jeder Ausübung des Ermessens der Wohnungseigentümer berücksichtigt werden müsse (OLG München v. 27.9.2006, 34 Wx 59/06, ZMR 2007 S. 557). Hierzu gehöre auch, dass nicht nur die Ursache des Mangels festzustellen sei, sondern auch der konkrete Instandsetzungsbedarf zu ermitteln sei und vor einer Auftragsvergabe Alternativangebote einzuholen seien, die sich insbesondere damit auseinandersetzen, inwiefern tatsächlich alle Balkone abgerissen werden müssen oder nur ein Teil (siehe OLG Köln v. 4.4.2000, 16 Wx 13/00, ZMR 2000 S. 862). Mit dem Umfang der Sanierung, der Anzahl der betroffenen Balkone, hätten sich die Wohnungseigentümer ausdrücklich auseinanderzusetzen (OLG Hamm v. 18.11.2008, 15 Wx 139/08, WuM 2009 S. 252). Beim Gutachten des Architekten falle auf, dass die gesamte Begutachtung nur eine Stunde gedauert habe und wohl nur von außen stattfand. Nach seinen grafischen Darstellungen wiesen 4 Balkone gar keine Schäden auf. Im Übrigen bliebe unklar, wie stark die Balkone tatsächlich beschädigt seien. Vage bleibe das Gutachten auch, was den weiteren Verfallsprozess angehe, indem es dort...

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