Leitsatz

Besteht beim Erlass eines Räumungsurteils die ernsthafte Gefahr eines Suizids oder eines sog. "Totstellreflexes" mit völliger Apathie des Mieters, kann dessen Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses Vorrang eingeräumt werden.

 

Fakten:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Mieter ist 77 Jahre alt und psychisch erkrankt. Er verursacht seit längerer Zeit, vor allem nachts, ruhestörenden Lärm, indem er herumtrampelt und mit Gegenständen gegen Heizrohre und Heizkörper schlägt. Nach mehrfacher erfolgloser Abmahnung hat der Vermieter wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens fristlos gekündigt. Der BGH erklärt dies für unwirksam: Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ist zwar auch bei schuldlosem Verhalten anerkannt. Besteht der Kündigungsgrund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, ist eine erfolglose Abmahnung erforderlich. Ein wichtiger Grund zur Kündigung liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Hier ist durch psychiatrisches Sachverständigengutachten festgestellt, dass beim Mieter schon bei Erlass eines Räumungsurteils die ernsthafte Gefahr eines Suizids oder eines Totstellreflexes mit völliger Apathie, Verweigerung der Nahrungsaufnahme und ähnlichen schwerwiegenden Folgen droht. Bei Abwägung der berechtigten Interessen aller Beteiligten ist hier den Interessen des Mieters der Vorrang einzuräumen.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 08.12.2004, VIII ZR 218/03

Fazit:

Psychisch erkrankte Mieter können in hellhörigen Mietobjekten zu einer ernsthaften Belastung werden. Bei Vorliegen eines entsprechenden Gutachtens ist eine Kündigung häufig nicht möglich.

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