Brutto oder netto? Das ist hier die Frage

Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Zwangsvollstreckung auch aus einem Titel betrieben werden kann, der auf einen Bruttolohnbetrag lautet (BAG NJW 2001, 3570; BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB; OLG Frankfurt DB 1990, 1291 = OLGZ 1990, 328; LG Berlin DGVZ 1993, 27; LG Mainz Rpfleger 1998, 530). Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer nichts anderes vereinbart, ist unter der "vereinbarten Vergütung" nach § 611 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Bruttovergütung zu verstehen (BAG, 7.3.2001, NJW 2001, 3570 = AP Nr. 4 zu § 288 BGB).

Zwangsvollstreckung beginnt im Erkenntnisverfahren

Lautet der Titel auf Zahlung eines restlichen Arbeitslohns, ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es sich hierbei um den Bruttolohn handelt (LAG Rheinland-Pfalz, 7.1.2008 – 5 Sa 455/07). Eine solche Formulierung weckt bei dem Mandanten auf Arbeitnehmerseite allerdings häufig falsche Vorstellungen, weil er "die Zahl" als Netto ansieht. Hierüber muss er also zunächst aufgeklärt werden.

 

Hinweis

Soll der Nettolohn tituliert werden, muss der Bevollmächtigte des Arbeitnehmers darauf achten, dass dies ausdrücklich festgehalten wird. Grundsätzlich gilt, dass in arbeitsrechtlichen Zahlungstiteln ausdrücklich festzuschreiben ist, ob es sich um einen Bruttolohnbetrag oder einen Nettolohnbetrag handelt. So geht der Rechtsanwalt dem Grundsatz des sichersten Weges folgend allen Streitigkeiten, insbesondere auch Verzögerungsversuchen des Schuldners aus dem Weg.

Wirkung für Finanzamt und Sozialversicherung

Das ArbG Halberstadt hält dies allerdings für unzulässig, weil die Finanzbehörden und die Einzugsstellen nicht an diese Entscheidung der Arbeitsgerichte gebunden seien (Urt. v. 28.9.2005 – 5 Ca 608/04). Dem ist allerdings nicht zu folgen, da mit dem Titel die Verhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner und nicht die zu Dritten geklärt werden. Welche Abgaben aus dem oder auf den Zahlungsbetrag oder auf den im Vollstreckungstitel zu erheben sind, bestimmen die Finanzbehörden und die Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbetrag in eigener Zuständigkeit. Der Vollstreckungstitel bestimmt mit seiner Bezeichnung des Betrages als Brutto- bzw. Nettolohn, wer die Abgaben letztendlich zu tragen hat. Beim Bruttolohntitel gehen sie zu Lasten des Arbeitnehmers als Gläubiger, beim Nettolohntitel zu Lasten des Arbeitgebers als Schuldner.

Bei der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungstitel, d.h. insbesondere einem Urteil oder einem Prozessvergleich, der auf einem Bruttolohnbetrag lautet, ist dann auch der gesamte Bruttolohnbetrag beizutreiben. Der Gerichtsvollzieher ist allerdings verpflichtet, das Finanzamt über die Pfändung des Bruttolohnes zu unterrichten. Die Abführung der maßgeblichen Beträge muss also zur Vermeidung strafrechtlicher Sanktionen im Auge behalten werden.

Arbeitnehmer ist Schuldner der Abgaben

Der Arbeitnehmer ist nach § 38 Abs. 2 S. 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer. Dem Arbeitgeber ist als öffentlich-rechtliche Verpflichtung insoweit nur auferlegt, diese für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen, §§ 38 Abs. 3 S. 1, 41a EStG. Die Abführung des Lohnsteuerbetrages an das Finanzamt stellt damit eine Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer dar. Nichts anderes gilt für den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer, die nach § 41a EStG entsprechend der Lohnsteuer behandelt werden. Auf sein Arbeitsentgelt hat der Arbeitnehmer gemäß §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 SGB IV Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Diese Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d SGB IV hat der Arbeitgeber an die nach §§ 28h, 28i SGB IV zuständige Einzugsstelle zu entrichten. Den Arbeitnehmeranteil an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen behält der Arbeitgeber als Anspruch gegen den Arbeitnehmer vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers ein, §§ 28e Abs. 1 S. 1, 28g Abs. 1 S. 1 SGB IV. Insoweit erfüllt er seine Zahlungsverpflichtung aus einem Bruttolohntitel des Arbeitnehmers als Gläubiger gegen ihn.

Entscheidend: Wurden Beträge schon abgeführt?

Hat der Arbeitgeber die auf den Bruttobetrag entfallende Lohnsteuer und die von dem Bruttolohn des Arbeitnehmers abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zum Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung bereits vollständig oder teilweise abgeführt, so muss er die entsprechenden Zahlungen gegenüber dem Vollstreckungsorgan durch Vorlage der entsprechenden Quittung des Einzahlungsbeleges oder eines Überweisungsnachweises zunächst belegen. Das Vollstreckungsorgan wird wegen dieser abgeführten Beträge sodann die Zwangsvollstreckung nach § 775 Nr. 4 und 5 ZPO einstweilen einstellen, da der Arbeitgeber mit der Abführung dieser Lohnbestandteile an die Finanzbehörden bzw. die Sozialversicherungsträger seine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer in dieser Höhe auf den Bruttolohn erfüllt hat (BAGE 34, 80; BAGE 15, 220; BFHE 166, 540; BFHE 171, 409). Tatsächlich wird von dem Vollstreckungsorgan in dieser Konstellation also nur der Nettobetrag ...

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