Leitsatz

1. Der titulierte Zeugnisanspruch unterfällt nicht dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO.

2. Die Vollstreckung der im Titel für den Fall der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes festgesetzten Zwangshaft setzt gemäß §§ 888 Abs. 1 S 3, 901 ZPO einen Haftbefehl voraus, für dessen Erlass das Arbeitsgericht als Prozessgericht zuständig ist.

3. In einem Zwangsgeldbeschluss nach § 888 ZPO ist die Dauer der Ersatzzwangshaft im Verhältnis zur Höhe des Zwangsgeldes festzusetzen.

4. Das Beschwerdegericht ist angesichts des streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahrens gehindert, selbst die Dauer der Ersatzzwangshaft festzulegen.

LAG Hamm, 7.3.2012 – IX ZB 181/10

I. Der Fall

Vollstreckung eines Zeugniserteilungsanspruchs

Die Gläubigerin betreibt die Vollstreckung aus einem Zwangsmittelbeschluss des ArbG. Sie erwirkte beim ArbG gegen die SU ein Versäumnisurteil, mit dem die SU verurteilt wurde, ihr ein Arbeitszeugnis mit einem in dem Urteil näher bezeichneten Inhalt zu erteilen. Wegen Nichterteilung des Zeugnisses beantragte die Gläubigerin die Festsetzung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft. Gleichzeitig teilte sie mit, über das Vermögen der SU sei das Insolvenzeröffnungsverfahren angeordnet worden. Das ArbG setzte ein Zwangsgeld von 500 EUR und im Fall der Uneinbringlichkeit Zwangshaft fest.

SU in der Insolvenz – Zwangshaft beantragt

Über das Vermögen der SU wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Anschließend und gleichwohl hat die Gläubigerin "die Durchführung der Zwangshaft" mit der Begründung beantragt, das Zeugnis sei immer noch nicht erstellt worden. Das festgesetzte Zwangsgeld habe wegen der Anordnung des Insolvenzeröffnungsverfahrens und des nachfolgenden Insolvenzverfahrens nicht beigetrieben werden können.

Insolvenzverwalterin hält sich raus – Abwägungen zur Haft

Die Insolvenzverwalterin bestellte sich ausdrücklich nicht für die SU, teilte jedoch mit, dass eine Anordnung von Zwangshaft voraussichtlich unverhältnismäßig sein dürfte, da die SU schwerwiegend erkrankt sei und sowohl durch eine Chemotherapie als auch durch die schwierige wirtschaftliche Situation physisch und psychisch stark belastet sei. Die Gläubigerin hat dazu geltend gemacht, es müsse der SU zumutbar sein, ein einseitiges Zeugnis zu schreiben und zu unterzeichnen.

ArbG weist Haftantrag zurück

Das ArbG hat den Antrag der Gläubigerin auf Anordnung der Zwangshaft gegen die SU mit der Begründung zurückgewiesen, es sei nicht nachgewiesen, dass es sich bei der unter der Zustellanschrift wohnhaften Person tatsächlich um die SU handele. Darüber hinaus sei die Haft gemäß § 906 ZPO nicht gegen die SU zu vollstrecken, deren Gesundheit durch die Vollstreckung einer erheblichen Gefahr ausgesetzt sei. Die Anordnung von Zwangshaft sei unverhältnismäßig. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin.

II. Die Entscheidung

Insolvenz kein Hindernis

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert nicht die von der Gläubigerin begehrte Zwangsvollstreckung. § 240 ZPO erfasst nicht Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 888 ZPO (MünchKommInsO/Breuer § 89 Rn 31; LAG Düsseldorf NZA-RR 2004, 206; LAG Köln, 19.5.2008, 11 Ta 119/08). Die Folgen des Insolvenzverfahrens für die Zwangsvollstreckung gegen die SU sind durch §§ 88 ff. InsO speziell geregelt, sodass § 240 ZPO nicht zur Anwendung gelangt (BGH NJW 2007, 3132). Der titulierte Zeugnisanspruch unterfällt nicht dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO. Es handelt sich weder um eine Insolvenzforderung, noch ist die Insolvenzmasse betroffen. Der Anspruch auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung im Sinne des § 888 ZPO ist vom SU persönlich zu erfüllen und ist nicht auf eine aus seinem Vermögen beitreibbare Leistung gerichtet (BAG NZA 2004, 1392).

Aber: Es fehlt an den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen

Es liegen nicht sämtliche allgemeinen Voraussetzungen für die Vollstreckung des Zwangsmittelbeschlusses vor. Der Antrag der Gläubigerin auf Durchführung der Zwangshaft ist als Antrag auf Erlass eines Haftbefehls auszulegen. Der Zwangsmittelbeschluss ist eigener Vollstreckungstitel im Sinn des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für die Vollstreckung der Ersatzzwangshaft. Die Vollstreckung der im Titel für den Fall der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes festgesetzten Zwangshaft setzt gemäß §§ 888 Abs. 1 S. 3, 901 ZPO einen Haftbefehl voraus, für dessen Erlass das Arbeitsgericht als Prozessgericht zuständig ist (BAG NZA 2010, 61).

Erstes Problem: Ordnungsgemäße Zustellung

Es unterliegt Bedenken, ob der Zwangsmittelbeschluss ordnungsgemäß zugestellt wurde. Die Zustellung des Titels, aus dem die Vollstreckung begehrt wird, beim SU ist Voraussetzung der Zwangsvollstreckung (§ 750 Abs. 1 ZPO). Der Antrag hat die SU zwar ausweislich ihrer Erwiderung erreicht. Zu diesem Zeitpunkt gab die SU allerdings ihre Anschrift bereits selbst abweichend an. Ob sie bei der vermerkten Zustellung des Zwangsmittelbeschlusses – zu diesem Zeitpunkt war schon das Insolvenzeröffnungsverfahren anhängig – noch Geschäftsräume unterhielt, ist zumindest zweifelhaft.

Zweites Problem: Keine vollstreck­bare Ausfert...

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