Wortlaut ist Maßstab der Auslegung …

Auszugehen ist vom Wortlaut des § 802l ZPO. Danach sind Erhebung oder Ersuchen nur zulässig, soweit die zu vollstreckenden Ansprüche mindestens 500 EUR betragen; Kosten der Zwangsvollstreckung und Nebenforderungen sind bei der Berechnung nur zu berücksichtigen, wenn sie allein Gegenstand des Vollstreckungsauftrags sind.

… aber es ist noch mehr zu berücksichtigen!

Nun gilt allerdings das "Verbot von Wortformalismus" (Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, Einleitung Rn 93). Über der bloßen Wortauslegung steht die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes (teleologische Auslegung). Andererseits befreit den Richter eine teleologische Auslegung nicht von jeder Bindung an den Gesetzestext. Der Große Zivilsenat hat hierzu festgestellt, dass die bloße Unzweckmäßigkeit einer Norm es nicht rechtfertigt, sich über ihren eindeutigen Wortlaut hinwegzusetzen (BGHZ 80, 152).

Danach lassen sich für die Ermittlung der Bagatellgrenze in §§ 802l, 755 ZPO folgende Leitlinien aufstellen:

Das Gesetz spricht von den zu vollstreckenden Ansprüchen. Der Plural belegt, dass mehrere Ansprüche, die einem einheitlichen Vollstreckungsauftrag zugrunde liegen, addiert werden (wohl allg. Meinung, z.B. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 34. Aufl., § 802l Rn 5).
Bei den Kosten ist zwischen denen, die für die Titulierung anfallen (Verfahrenskosten), und denen der Zwangsvollstreckung zu unterscheiden. Die in § 802l Abs. 1 S. 2 ZPO ausgesprochene Einschränkung betrifft nur Letztere. Im Umkehrschluss sind Kosten des Rechtsstreits (im KFB tituliert) und Kosten des Mahnverfahrens (im VB mit tituliert) zu berücksichtigen. Beim KFB allerdings nur, wenn er ebenfalls und gleichzeitig Gegenstand des Vollstreckungsauftrags ist.
Für Kosten der Zwangsvollstreckung und Nebenforderungen bringt das Gesetz eine eindeutige Einschränkung. Sie sind nur zu berücksichtigen, wenn sie alleine Gegenstand des Vollstreckungsauftrags sind, also dann gerade nicht, wenn es sich um zugleich mit der Hauptforderung zu vollstreckenden Ansprüche handelt, obwohl auch sie ja an sich den Anforderungen des § 802l Abs. 1 S. 2 Hs. 1 ZPO ("zu vollstreckende Ansprüche") genügen (Hk-ZV/Sternal, 2. Aufl., § 802l Rn 7; Harnacke/Bungardt, DGVZ 2013, 1 ff., 3 in Fall 13; Fleck, in: Beck-OK ZPO § 820l Rn 5; a.A. Mroß, DGVZ 2012, 169, 177; AG Augsburg DGVZ 2013, 215).

Auf die betragsmäßige Bezifferung kommt es nicht an

Daher ist es nicht zulässig, den Text des § 802l Abs. 1 S. 2 ZPO quasi um einen Zusatz zu verlängern (dort am Ende) und zu lesen: "oder wenn sie betragsmäßig ausgewiesen sind". Die Auffassung des AG Augsburg (a.a.O.), betragsmäßig ausgewiesene/titulierte Nebenforderungen seien zu berücksichtigen, überzeugt nicht. Bei Zinsen als Nebenforderung wäre es rein zufällig, ob sie nur als laufende Verzinsung angeführt sind oder teilweise als ausgerechneter Zinsbetrag. Rechtlich macht dies aber keinen relevanten Unterschied, denn in beiden Fällen handelt es sich um vollstreckbare Ansprüche. Sonstige Nebenforderungen wie Kosten einer Auskunft, von Mahnungen und vorgerichtliche Rechtsanwalts- und/oder Inkassokosten sind immer betragsmäßig ausgewiesen, sodass die Regelung in § 802l Abs. 1 S. 2 Hs. 2 ZPO völlig leerlaufen würde. Danach betragen hier die zu vollstreckenden Ansprüche, soweit sie zu berücksichtigen sind, in der Summe 401,61 EUR (Hauptforderung 357,60 EUR; Verfahrenskosten 44,01 EUR), weshalb sich der GV zu Recht weigert, nach § 820l ZPO zu verfahren.

Hinzu kommt, dass durch die zeitliche Verzögerung sich die Verhältnisse des Schuldners ggf. geändert haben, er etwa seine Arbeitsstelle verloren oder gewechselt hat. Hat er gar Kenntnis von dem Antrag des Gläubigers erlangt, kann er seine Forderungen an Dritte abgetreten haben. Zwar eröffnen die §§ 3, 4 AnfG die Möglichkeit, gegen solche Abtretungen vorzugehen, was aber mit weiteren Schwierigkeiten, Aufwand und Kosten verbunden ist. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der BGH hier schnell Rechtsklarheit schafft.“

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