Leitsatz

Der Gerichtsvollzieher trägt bei einer Erklärung des Gläubigers, die gepfändete Sache solle im Gewahrsam des Schuldners verbleiben, kein Haftungsrisiko und muss dieser Weisung deshalb Folge leisten.

LG Verden, 1.8.2014 – 6 T 146/14

1 I. Der Fall

Auftrag zur Pfändung eines konkreten Pkw

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde (Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Er beauftragte den Gerichtsvollzieher mit der Pfändung des Pkw Ford Focus beim Schuldner unter Angabe des amtlichen Kennzeichens. Die Pfändung sollte so durchgeführt werden, dass das Fahrzeug beim Schuldner zu belassen und nicht abzutransportieren sei. Der Pkw sollte mithin beim Schuldner verbleiben.

GV begehrt erheblichen Kostenvorschuss

Der Gerichtsvollzieher forderte darauf einen Vorschuss in Höhe von 650,00 EUR. Andernfalls kündigte er die kostenpflichtige Einstellung des Verfahrens an. Als Begründung führte er an, der Pkw müsse nach der Pfändung in die Pfandkammer verbracht werden, da die Haftung nach der Pfändung auf den Gerichtsvollzieher übergehe. Hiergegen wandte sich der Gläubiger und teilte mit, dass ein Abtransport nicht erwünscht sei, mithin der Kostenvorschuss neu zu berechnen sei, ohne dass der GV seine Auffassung änderte. Die hiergegen erhobene Erinnerung nach § 766 ZPO blieb erfolglos, so dass der Gläubiger sofortige Beschwerde erhob, der nicht abgeholfen und die zur Entscheidung dem LG vorgelegt wurde.

2 II. Die Entscheidung

Begehren des Gläubigers ist begründet

Die Erinnerung des Gläubigers gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die Pfändung ohne die Leistung des Kostenvorschusses in Höhe von 650,00 EUR vorzunehmen, war zulässig und begründet. Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen sowie die besonderen Voraussetzungen für die beantragte Pfändung lagen vor.

Beurteilungsspielraum des Gerichtsvollziehers

Gemäß § 808 Abs. 1 ZPO wird die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen dadurch bewirkt, dass der Gerichtsvollzieher sie in Besitz nimmt. Gemäß § 808 Abs. 2 ZPO sind jedoch andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, sofern nicht hierdurch die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. Ob eine solche Gefährdung für den Gläubiger besteht, ist grundsätzlich durch den Gerichtsvollzieher zu beurteilen.

Belassenserklärung des Gläubigers ist entscheidend

Vorliegend hatte sich der Gläubiger jedoch ausdrücklich mit dem Belassen der Pfandsache im Gewahrsam des Schuldners einverstanden erklärt. Der Gerichtsvollzieher ist grundsätzlich an Weisungen des Gläubigers gebunden, sofern diese nicht mit dem Gesetz oder der GVGA im Widerspruch stehen. Vorliegend ist die Weisung des Gläubigers mit dem Gesetz oder GVGA vereinbar, der Gerichtsvollzieher hätte die Pfändung mithin weisungsentsprechend durch Belassen des Pkw beim Schuldner durchführen müssen.

Kein Haftungsrisiko des GV

Dem steht auch nicht die Schutzwürdigkeit des Gerichtsvollziehers entgegen. Durch die ausdrückliche Weisung des Gläubigers, den Pkw beim Schuldner zu belassen, besteht für den Gerichtsvollzieher kein Haftungsrisiko bzgl. einer Beschädigung oder einem Untergang der Sache mehr (AG Pirna, Beschl. v. 6.5.2013 – 1 M 663/13; AG Mönchengladbach-Rheydt, Beschl. v. 16.4.2013 – 32 M 724/13; AG Brake, Beschl. v. 11.7.2007 – 6 M 964/07; AG Riesa, Beschl. v. 29.4.2008 – 1 M 949/08). Sollte der Gläubiger einen Abtransport des Pkw tatsächlich fordern, so könnte dieses noch immer auch auf seine Kosten geschehen.

Rechtsbeschwerde zugelassen

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil eine Entscheidung des BGH, ob der Gerichtsvollzieher bei Belassen des Pkws beim Schuldner tatsächlich ein Haftungsrisiko trägt und aufgrund dessen der Weisung des Schuldners keine Folge leisten muss, bislang für das Zwangsvollstreckungsverfahren nicht ergangen ist und diese Frage nach wie vor streitig ist.

3 Der Praxistipp

GVGA gibt die Antwort

Die Entscheidung des LG Verden steht im Einklang mit der vom Gerichtsvollzieher im konkreten Fall nicht beachteten Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung (GVGA). Das LG stellt dabei zunächst nur auf das allgemeine Weisungsrecht des Gläubigers nach §§ 31 Abs. 2, 58 Abs. 2 GVGA ab. Weisungen des Gläubigers hat der Gerichtsvollzieher danach insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen. Das entspricht der allgemeinen Auffassung, wonach der Gläubiger – und eben nicht der Gerichtsvollzieher – Herr des Vollstreckungsverfahrens ist und deshalb Beginn, Art, Ausmaß und Ende der Vollstreckung bestimmen darf. Der Gerichtsvollzieher hätte also normativ begründen müssen, warum die Weisung unzulässig sein soll. Das hat er nicht getan. Er hat lediglich eine Behauptung aufgestellt.

§ 107 GVGA als lex specialis

Allerdings bedurfte es gar keines Rückgriffs auf das allgemeine Weisungsrecht, weil § 107 GVGA für Pkw eine Sonderbestimmung enthält (hierzu ausführlich Goebel, Das Auto des Schuldners – sein liebstes Kind!, Fo...

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