Leitsatz

Der Gerichtsvollzieher (GV) darf die Zwangsvollstreckung nicht mit der Begründung des unbekannten Aufenthalts des Schuldners ohne weitere Ermittlungen einstellen, wenn er lediglich eine direkte Nachbarin befragt und die Klingelschilder kontrolliert hat, denn damit hat er seinen Ermittlungspflichten noch nicht Genüge getan. Vielmehr hat er durch Befragung des Vermieters oder des Hauswirts zu ermitteln, ob der Schuldner verzogen ist oder das Mietverhältnis andauert.

LG Verden, Beschl. v. 31.5.2016 – 6 T 2/16

1 I. Der Fall

Vollstreckung mit Antrag auf Abnahme der VA

Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid und beantragte, den Schuldner zur Abnahme der Vermögensauskunft zu laden, wobei er darauf hinwies, dass der Schuldner ausweislich der im Vollstreckungsverfahren wiederholt eingeholten Einwohnermeldeamtsauskünfte durchgehend seit dem 24.10.2012 unter der Anschrift "A." gemeldet sei. Zudem wies der Gläubiger darauf hin, dass es sich bei dem Objekt "A." um ein Mietshaus mit vier Parteien handele und keines der Namensschilder an der Anschrift auf den Namen des Schuldners lautet.

GV sagt SU sei unbekannt verzogen

Im Rahmen ihrer Kostenrechnung teilte die Gerichtsvollzieherin mit, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei. Dies habe die Nachbarin Frau W. glaubhaft bekundet, die angegeben habe, dass der Schuldner seit längerer Zeit nicht mehr unter der Meldeanschrift wohnhaft sei.

Gläubiger: GV habe mehr ermitteln müssen …

Die Gläubigerin legte Erinnerung nach § 766 ZPO ein und beantragte, die GV anzuweisen, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Die GV habe ihren Pflichten zur Aufenthaltsermittlung des Schuldners nicht in vollem Umfang Rechnung getragen, insbesondere habe die GV durch Befragung des Vermieters oder Hauswirts ermitteln müssen, ob der Schuldner verzogen sei oder das Mietverhältnis noch andauere. Auf Grundlage ihrer Ermittlungen habe die GV nicht zweifelsfrei feststellen können, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei. So habe sie weder festgestellt, dass unter der aktuellen Anschrift des Schuldners nun ein neuer Mieter lebe, noch habe sie den Vermieter festgestellt und befragt. Der Vermieter sei gegenüber der GV auskunftspflichtig, nicht jedoch gegenüber dem Gläubiger.

… was das AG anders sieht …

Das AG hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die GV habe im Lichte des Bagatellcharakters der zu vollstreckenden Forderungen mit der Kontrolle der Klingelschilder und der Befragung der Nachbarin ausreichende Bemühungen entfaltet, um den Schuldner ausfindig zu machen.

2 II. Aus der Entscheidung

… dem wiederum das LG widerspricht!

Die GV durfte die Zwangsvollstreckung vorliegend mit der Begründung des unbekannten Aufenthalts des Schuldners nicht ohne weitere Ermittlungen einstellen. Mit der Befragung einer direkten Nachbarin und der Kontrolle der Klingelschilder hat die Gerichtsvollzieherin ihren Ermittlungspflichten noch nicht Genüge getan. Vielmehr hat sie durch Befragung des Vermieters oder des Hauswirts zu ermitteln, ob der Schuldner verzogen ist oder das Mietverhältnis andauert. Allein auf Grundlage der Angaben der Nachbarin konnte die Gerichtsvollzieherin nicht zweifelsfrei feststellen, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei, denn sie hat nicht positiv ermittelt, dass unter der weiterhin aktuellen Schuldneranschrift ein neuer Mieter lebt (LG Berlin v. 9.7.2015 – 51 T 438/15; AG Bremen v. 11.6.2014 – 243 M 430663/14).

Offenkundige Ermittlungen müssen angestellt werden

Zwar kann einer GV angesichts des Zeitaufwandes nicht abverlangt werden, investigativ tätig zu werden. Offenkundigen Anhaltspunkten und mühelos feststellbaren Äußerlichkeiten ist jedoch nachzugehen. Aufgrund der Einführung des § 755 ZPO n.F. besteht seit dem 1.1.2013 eine erweiterte Verpflichtung zur Aufenthaltsermittlung. Zwar formuliert § 755 ZPO Rechte des GV, zugleich gehen hiermit aber entsprechende Pflichten zur pflichtgemäßen Ermessensausübung einher. Wenn der GV nunmehr ermächtigt und verpflichtet sein kann, aktuelle Schuldneranschriften über bestimmte Behörden ermitteln zu lassen, so ist er erst recht berechtigt bzw. verpflichtet, die offiziell gültige Meldeadresse selbst zu überprüfen.

Ermittlungen sind nicht Aufgabe des Gläubigers

Im Gegensatz zum GV verfügt der Gläubiger über keine staatliche Autorität. Dritte sind dem Gläubiger nicht auskunftspflichtig. Daher kann es nicht Aufgabe des Gläubigers sein, die Meldeanschrift zu überprüfen.

Keine Einschränkungen bei Bagatellforderungen

Entgegen der Ansicht des AG entfällt die Erforderlichkeit, den Wohnungsvermieter des Schuldners über dessen Verbleib zu befragen, nicht dadurch, dass es sich im vorliegenden Fall um die Beitreibung einer Bagatellforderung handelt. Bei der Frage der pflichtgemäßen Wahrnehmungen und Bemühungen der GV geht es nicht um die Höhe der beizutreibenden Forderung, sondern um die Ermöglichung der Durchführung der Zwangsvollstreckung an sich. Die Kontaktdaten des Vermieters wären gerade im Gespräch mit der Nachbarin ohne viel Aufwand zu ermitteln gewesen. Es best...

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