Leitsatz

1. Ist im Fall einer Zwangsräumung fachärztlich nachgewiesen von einer konkreten und sehr hoch einzuschätzenden Suizidgefahr des Schuldners auszugehen, rechtfertigt dies eine erneute nicht unbefristete, aber mehrere (hier: acht) Monate betragende einstweilige Einstellung der Vollstreckung (hier: Räumungstitel vom 2.4.2015; Einstellung nunmehr bis 31.12.2018), wenn der Schuldner nunmehr (hier: ca. vier Jahre nach der Kündigung) intensive Bemühungen um alternativen Wohnraum glaubhaft macht.

2. Eine befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung ist regelmäßig mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen (BGH NZM 2017, 820; BGH DGVZ 2010, 149; Einstellung für vier Monate nebst Auflage an den Schuldner, sich in ambulante oder – soweit erforderlich – stationäre fachärztliche Behandlung zu begeben und deren Aufnahme dem Vollstreckungsgericht unverzüglich nachzuweisen sowie den Verlauf der Behandlung durch Vorlage von fachärztlichen Bescheinigungen darzulegen).

3. Eine unbefristete Einstellung der Zwangsräumung würde voraussetzen, dass der Schuldner dauerhaft trotz ärztlicher Behandlung einer Suizidgefahr im Falle der Räumung unterliegt.

LG Hamburg, Beschl. v. 28.8.2018 – 307 T 29/18

1 I. Der Fall

Räumungsverpflichtung und wiederholte Schutzanträge

Der Schuldner wurde mit Anerkenntnisurteil vom 2.4.2015 verurteilt, die von ihm bewohnte Wohnung zu räumen und an die Gläubigerin herauszugeben.

Wegen einer für den 4.5.2016 angesetzten Räumung beantragte der Schuldner mit Schreiben vom 14.4.2016, beim AG eingegangen am 15.4.2016, Räumungsschutz und begründete dies u.a. mit einer bestehenden Suizidgefahr für den Fall der Räumung. Der Räumungsauftrag für den 4.5.2016 wurde zunächst von der Gläubigerin zurückgenommen.

Das erkennende Gericht stellte die Räumungsvollstreckung auf die Beschwerde des Schuldners gegen den zurückweisenden Beschluss des AG vom 6.10.2016 einstweilen bis zum 31.7.2017 ein.

Mit Schreiben vom 17.7.2017, beim AG eingegangen am 20.7.2017, beantragte der Schuldner erneut Räumungsschutz für einen am 1.8.2017 anberaumten Räumungstermin. Mit Beschl. v. 27.7.2017 stellte das AG die Zwangsvollstreckung hinsichtlich des Räumungsanspruches zunächst einstweilen bis zur Entscheidung über den Antrag, mit Beschl. v. 5.9.2017 sodann bis zum 1.4.2018 ein.

Der letzte Antrag war für die Gläubigerin zu viel, für den Schuldner zu wenig

Mit Schreiben vom 29.3.2018, beim AG eingegangen am 4.4.2018, beantragte der Schuldner erneut Räumungsschutz für weitere acht Monate für einen am 15.5.2018 anberaumten Räumungstermin. Mit Beschl. v. 8.5.2018 stellte das AG die Zwangsvollstreckung hinsichtlich des Räumungsanspruches bis zum 1.11.2018 ein und wies den weitergehenden Antrag des Schuldners zurück.

Zur Begründung führte es aus, dass eine unmittelbare Zwangsräumung gegenwärtig weiterhin eine unzumutbare Härte für den Schuldner darstelle, da der Schuldner auch nach dem aktuellen Attest des Dr. K. vom 28.3.2018 nach wie vor unter einer schweren Persönlichkeitsstörung mit wiederkehrenden depressiven Episoden und latenter Suizidneigung leide. Auch habe sich der Schuldner im Rahmen seiner krankheitsbedingt eingeschränkten Möglichkeiten bemüht, den Auflagen des Gerichts nachzukommen, und sich um Ersatzwohnraum bemüht. Dies habe er insbesondere durch Vorlage des Sozial- und Verlaufsberichts für ambulante Eingliederungshilfeleistungen vom 26.4.2018 glaubhaft gemacht. Die Einstellung sei jedoch auf sechs Monate zu beschränken gewesen, da die Gläubigerin einen Titel erlangt habe, dessen Durchsetzung sie auf lange Sicht verlangen könne. Der Schuldner müsse sich weiterhin intensiv um Ersatzwohnraum kümmern und sich darauf einstellen, notfalls in eine Klinik für psychisch kranke Menschen zu ziehen.

Gegen diesen Beschluss richten sich die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 28.5.2018 und die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 16.5.2018. Das AG hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Beschwerden dem LG zur Entscheidung vorgelegt.

2 II. Die Entscheidung

Weitere Frist ist angemessen

Die zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hingegen ist unbegründet.

Schutzantrag nach § 765a ZPO ist begründet

Dem Schuldner ist gemäß § 765a ZPO Vollstreckungsschutz zu gewähren. Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.

Würdigung aller Umstände des Einzelfalles

Die Entscheidung nach § 765a ZPO verlangt eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind hierbei einerseits das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seines titulierten Räumungsanspruches (Art. 14 GG) sowie sein Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und andererseits die auf Seiten des ...

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