Weitere Frist ist angemessen

Die zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hingegen ist unbegründet.

Schutzantrag nach § 765a ZPO ist begründet

Dem Schuldner ist gemäß § 765a ZPO Vollstreckungsschutz zu gewähren. Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.

Würdigung aller Umstände des Einzelfalles

Die Entscheidung nach § 765a ZPO verlangt eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind hierbei einerseits das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seines titulierten Räumungsanspruches (Art. 14 GG) sowie sein Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und andererseits die auf Seiten des Schuldners betroffenen Grundrechte, insbesondere sein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG).

Wichtig: Laufende Nutzungsentschädigung wird gezahlt

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist die Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO zu beschränken, wenn eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ergibt, dass die der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seines Räumungstitels. Aufgrund des überzeugenden fachärztlichen Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Innere Medizin H. vom 22.8.2017 ist für den Fall einer Zwangsräumung von einer konkreten und sehr hoch einzuschätzenden Suizidgefahr des Schuldners auszugehen. Vor dem Hintergrund dieser ärztlichen Einschätzung, der zwei ausführliche Gespräche sowie eine Auswertung des umfangreichen Schriftverkehrs zugrunde lagen, sind die Interessen des Schuldners höher zu bewerten als die Interessen der Gläubigerin an der Durchsetzung ihres Räumungstitels, zumal derzeit nach Angaben der Gläubigerin die laufende Nutzungsentschädigung gezahlt wird.

Ausweislich des Gutachtens kann der Suizidgefahr auch durch andere therapeutische Maßnahmen nicht anders als durch die Zurverfügungstellung eines alternativen Wohnraumes, der zur Zeit noch nicht gefunden ist, begegnet werden. Die gutachterliche Einschätzung wird bestätigt durch die aktuellere Stellungnahme des Psychiaters Dr. K. vom 28.3.2018. Auch wenn es sich hierbei nicht um ein förmliches Attest handelt, hat der Schuldner durch Vorlage der Stellungnahme des ihn seit anderthalb Jahren behandelnden Funktionsoberarztes zusammen mit dem ausführlichen Gutachten des Psychiaters H. seine bei einer vorstehenden Räumung akute Suizidgefährdung hinreichend glaubhaft gemacht.

Maßgeblich sind die Verhältnisse des konkreten Schuldners

Der Schuldner hat außerdem insbesondere durch Vorlage der Stellungnahme zum Engagement der Vereinigung P. GmbH nun glaubhaft gemacht, dass er die Auflagen des AG erfüllt. Die Auflistung der konkret kontaktierten Einrichtungen und Anlaufstellen zeigt, dass sich der Schuldner, wie auch der Gutachter H. ausführt, in seinen krankheitsbedingt reduzierten Möglichkeiten intensiv um Ersatzwohnraum kümmert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für die Frage, ob die Bemühungen angesichts der mittlerweile verstrichenen Zeit und des auch grundgesetzlich verbürgten Rechts der Gläubigerin, aus ihrem Räumungstitel vollstrecken zu können, intensiv genug sind, um eine weitere einstweilige Einstellung der Räumungszwangsvollstreckung zu rechtfertigen, nicht auf einen durchschnittlichen Mieter, sondern auf den konkreten Schuldner abzustellen ist und somit seine krankheitsbedingten Einschränkungen zu berücksichtigen sind (BGH WuM 2017, 668 Rn 21, zitiert nach juris).

Nur die Suizidgefahr fällt ins Gewicht

Die vom Schuldner darüber hinaus angeführten Krankheiten und Behinderungen stellen dagegen keine besondere Härte der Zwangsräumung im Sinne des § 765a ZPO dar. Bezüglich dieser Krankheiten und Behinderungen droht dem Schuldner durch eine Räumung weder eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, noch erschweren diese einen Wohnungswechsel derart, dass von einer besonderen Härte ausgegangen werden kann.

Keine Einstellung auf unbestimmte Zeit

Die Dauer des Vollstreckungsschutzes war entgegen dem Beschluss des AG zeitlich auf acht Monate zu begrenzen. Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung auf unbestimmte Zeit ist auf absolute Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BGH, 21.1.2016 – I ZB 12/15). Voraussetzung dafür wäre jedenfalls, dass eine Prognose ergeben würde, dass eine Verringerung der Suizidgefahr auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Mitwirkung des Schuldners und staatlicher Stellen ausgeschlossen erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Schuldner ist – bisher erfolglos – darum bemüht, eine Unterkunft zu finden, die sich seiner gesundheitlichen Probleme annimmt und ihm hilft, dies...

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