Mehrere Forderungsarten

Grundsätzlich kennen wir im Zivilrecht drei Forderungsarten, nämlich vertragliche Ansprüche, Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, haben aber unterschiedliche Voraussetzungen und führen auch zum Teil zu unterschiedlichen Rechtsfolgen. Nicht selten kann ein Anspruch aus mehreren Forderungsarten und damit Rechtsgründen begründet sein.

 

Beispiel I

Der Schuldner nutzt ein Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ohne Fahrschein. Der Abschluss eines Beförderungsvertrages erfolgt konkludent durch die Benutzung des ÖPNV. Aus diesem Vertrag ist er dann zur Zahlung des Beförderungsentgeltes und auch eines erhöhten Beförderungsentgeltes (aktuell 60 EUR) verpflichtet. Zugleich liegt aber eine Leistungserschleichung i.S.d. § 265a StGB vor. Wer sich die Beförderung durch ein Verkehrsmittel in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird danach mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Bei § 265a StGB handelt es sich um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, so dass die Forderung zugleich aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung begründet ist.

 

Beispiel II

Der Schuldner kauft sich einen neuen Fernseher zum Preis von 499 EUR auf Rechnung. Die Rechnung bezahlt er nicht, so dass ein vertraglicher Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB begründet ist. Dass er die Rechnung nicht bezahlt, war von Anfang an klar. Er hat schon mehrfach, zuletzt etwa einen Monat vor dem Kauf, die Vermögensauskunft abgegeben und dabei aufgezeigt, dass er leistungsunfähig ist. Er bezieht Hartz IV und verfügte über keinerlei Rücklagen oder angespartes Geld. Hier liegt ein sogenannter Eingehungsbetrug nach § 263 StGB vor. Der Schuldner hat den Verkäufer über seine Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit getäuscht. Hierüber getäuscht, unterlag der Verkäufer dem Irrtum, dass der Schuldner die Rechnung bezahlen werde, und hat diesem als Vermögensverfügung den Fernseher übergeben. Hieraus ist auch ein Schaden in Höhe des Verkaufspreises des Fernsehers entstanden (BGH v. 15.11.2011 – VI ZR 4/11).

Warum die Anmeldung aus zwei Forderungsgründen?

Der Gläubiger will natürlich primär seinen geldlichen Anspruch erfüllt sehen. Aus welchem Rechtsgrund dies geschieht, ist für ihn nicht von Interesse. Es macht aber einen erheblichen Unterschied. Hinsichtlich des vertraglichen Anspruchs kann der Schuldner in der Insolvenz die Restschuldbefreiung erlangen. Über die gezahlte Quote hinaus ist dann also der vertragliche Anspruch nicht mehr durchsetzbar.

Anders verhält sich dies nach § 302 InsO. Von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind danach nämlich Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung. Diese Forderungen sind auch nach erteilter Restschuldbefreiung weiter einziehbar. Damit wird der Gläubiger in die Lage versetzt, nach Abschluss der Insolvenz seine nicht befriedigte Forderung noch ganz oder teilweise zu realisieren.

Doppelte Anmeldung

In der Forderungsanmeldung muss dann einerseits die Forderung aus dem vertraglichen Anspruch angemeldet werden, andererseits der Anspruch aus der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Dabei sollten beide Ansprüche auch kurz begründet werden. Der Begründungsaufwand unterscheidet sich dabei nach dem Stadium der Forderungseinziehung. Bei einem titulierten Anspruch genügt der Verweis auf den Vollstreckungstitel, während eine untitulierte Forderung in ihren Anspruchsvoraussetzungen zu begründen ist.

Der Insolvenzverwalter prüft nur den vertraglichen Anspruch

Der Insolvenzverwalter darf dann allerdings den Forderungsgrund nur im Hinblick auf den vertraglichen Anspruch prüfen. Für den Fall der Anspruchskonkurrenz – etwa bei vertraglichen Ansprüchen und Ansprüchen aus unerlaubter Handlung – prüft der Insolvenzverwalter zwar die Forderungsanmeldung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten, die den Forderungsbestand in Frage stellen können. Stützt ein Rechtsgrund jedoch die angemeldete Forderung, hat der Insolvenzverwalter sie in die Insolvenztabelle als unbestritten einzutragen; über den Rechtsgrund der Forderung hat er keine Entscheidung zu treffen. Ist der vertragliche Anspruch also begründet – was im Fall der Leserin nicht in Frage steht, weil er tituliert ist –, darf er den Rechtsgrund der vorsätzlich unerlaubten Handlung nicht bestreiten. Das ist bereits höchstrichterlich entschieden (BGH v. 12.6.2008 – IX ZR 100/07; Fortführung von BGH v. 17.1.2008 – IX ZR 220/06).

 

BGH, 12.6.2008 – IX ZR 100/07 im Wortlaut

Der BGH hat dazu ausgeführt:

1. Hängt der Bestand der Forderung von einer Vorsatztat nicht ab, steht dem Insolvenzverwalter ein auf den Rechtsgrund der angemeldeten Forderung beschränktes Widerspruchsrecht nicht zu

2. Erhebt der Insolvenzverwalter gegenüber der Anmeldung einer Forderung, die aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hergeleitet wird, einen auf...

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