Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristgerechter Änderungsantrag nach § 172 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Steuerbescheid darf, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist den Antrag gestellt hat, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Dies gilt nach Satz 2 der Norm auch dann, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. In diesem Fall muss der Änderungsantrag vor Ablauf der Klagefrist gestellt worden sein, § 172 Abs. 1 Satz 3 AO.

 

Normenkette

AO § 172

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Änderungsantrag nach § 172 Abgabenordnung (AO) fristgerecht gestellt wurde und, ob ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre.

Die Kläger A1 und A2 wurden für die Jahre 2007 und 2008 als Eheleute zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Klägerin A1 erzielt als Steuerberaterin Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Ihre Kanzleiräume befinden sich im Wohnhaus der Kläger.

Nachdem die Kläger erfolglos zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 2007 und 2008 aufgefordert worden waren, setzte das Finanzamt die Steuer für diese Jahre mit Bescheiden vom 26.05.2009 (für 2007) und 21.05.2010 (für 2008) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Mit nach § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 21.05.2010 hob es den Vorbehalt der Nachprüfung für die Einkommensteuerfestsetzung 2007 auf.

Gegen die Bescheide vom 21.05.2010 legte die Klägerin unter Verwendung ihres Kanzleibriefkopfes mit Fax vom 23.06.2010 zur Fristwahrung Einspruch ein und kündigte an, die ausstehenden Einkommensteuererklärungen umgehend nachzureichen. Das geschah nicht. Auch die Aufforderung, die Begründung bis spätestens 03.08.2010 nachzureichen, zeitigte keinen Erfolg.

Mit Einspruchsentscheidung vom 08.09.2010 wies das Finanzamt die zur gemeinsamen Entscheidung verbunden Einsprüche der Eheleute als unbegründet zurück und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf (für 2008). Es teilte mit, dass die Abgabe einer Einkommensteuererklärung innerhalb der Klagefrist als Antrag auf schlichte Änderung der Einspruchsentscheidung behandelt werden würde.

Die Einspruchsentscheidung wurde laut Absendevermerk am 08.09.2010 (Mittwoch) mit einfachem Brief zur Post gegeben.

Am 21.10.2010 (Donnerstag) gingen die Einkommensteuererklärungen 2007 und 2008 beim Finanzamt ein.

Mit Bescheid vom 02.11.2010 wurde der Antrag auf Änderung der Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 abgelehnt, da die Klagefrist bereits mit Ablauf des 13.10.2010 verstrichen sei und auch keine andere Änderungsvorschrift greife.

Am 11.11.2010 legte die Klägerin (wiederum auf Kanzleipapier) gegen die "Ablehnung der Einkommensteuerveranlagungen" 2007 und 2008 Einspruch ein. Sie behauptete, die Einspruchsentscheidung trage das Datum 18.09.2010 und sei "hier Anfang der KW 38/10" eingegangen. Sie war der Auffassung, die Einkommensteuererklärungen seien noch innerhalb der Klagefrist beim Finanzamt eingegangen, da die Einspruchsentscheidung vom 18.09.2010 als am 21.09.2010 bekanntgegeben gelte, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO.

Vorsorglich beantrage sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Schreiben vom 17.11.2010). Da ihr die Einspruchsentscheidung erst nach dem 18.09.2010 zugegangen sei, habe sie keine Zweifel an der Richtigkeit des aufgestempelten Datums gehabt und auch nicht haben müssen.

Auch der Bescheid vom 02.11.2010 sei nachweislich erst am 04.11.2010 (Donnerstag) verschickt worden und habe erst am 08.11.2010 (Montag) vormittags im Briefkasten gelegen.

Der Entwurf des Bescheides vom 02.11.2010 trägt keinen Absendevermerk. Allerdings findet sich in der Rechtsbehelfsakte ein Aktenvermerk vom 05.11.2010 über einen Anruf der Klägerin zur Frage des Fristablaufs am 13.10. oder 21.10.2010.

Mit Schreiben vom 23.12.2010 zeigten sich die jetzigen Klägervertreter gegenüber dem Finanzamt an. Sie bemängelten vor allem, dass die Bescheide des Finanzamts den Klägern und nicht Frau A1 in ihrer Funktion als Steuerberaterin bekanntgegeben worden seien. Aus deren Aktenunterlagen sei nachvollziehbar, dass die Bescheide in der Kanzlei erst in der 38. KW vorgelegen hätten. Die Klägervertreter schrieben: "Wir gehen davon aus, dass unsere Mandanten der Steuerberaterin A1 eine allgemeine Vollmacht i.S.d. § 80 I 2 AO erteilt haben. Diese Vollmacht ermächtigt auch zum Empfang und zur Kenntnisnahme von Verwaltungsakten im Bereich der Vollmacht."

Mit Einspruchsentscheidung vom 01.02.2011, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird, wurden die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Einsprüche der Eheleute als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klagebegründung nimmt auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren Bezug. Der Klageschrift ist ein Aktenvermerk des Rechtsanwalts R über ein Telefonat mit der Klägerin vom 23.02.2011 beigefügt. Die Klägerin weist darin darauf hin, dass es in B-Stadt...

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