Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis einer Klage nach Restschuldbefreiung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine objektiv sinnlose Klage, bei der der Kläger kein schutzwürdiges Interesse an einem Sachurteil haben kann, z.B. weil das erstrebte Ziel aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen nicht mehr erreicht werden kann, ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Ein solcher Fall ist gegeben bei einer nach Erteilung der Restschuldbefreiung erhobenen Klage gegen einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassenen Haftungsbescheid.

 

Normenkette

InsO § 301 Abs. 3; FGO § 40

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die prozessualen und materiell-rechtlichen Folgerungen, die nach Gewährung der Restschuldbefreiung (§ 300 Insolvenzordnung – InsO –) im Rahmen der Anfechtung eines Haftungsbescheids zu ziehen sind.

Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer der … Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die Gesellschaft fiel in Insolvenz, die beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde im Frühjahr 2004 mangels Masse abgelehnt.

Die GmbH hinterließ u.a. Körperschaftsteuerrückstände. Der Beklagte nahm den Kläger mit Bescheid vom 30.9.2005 als ehemaligen Geschäftsführer nach § 69 Abgabenordnung (AO) für Körperschaftsteuerverbindlichkeiten und Solidaritätszuschlag der Jahre 1999 bis 2003 in Haftung und setzte hierbei im Schätzungswege eine Haftungsquote von 75 % an. Die Zahlungsaufforderung belief sich auf … €. Zur Begründung des Haftungsbescheids führte der Beklagte an, der Kläger habe als seinerzeitiger Geschäftsführer seine steuerlichen (Zahlungs-)Verpflichtungen aus § 34 AO schuldhaft verletzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid Bezug genommen.

Im Einspruchsverfahren, das nahezu zehn Jahre andauerte, wandte sich der Kläger zum einen gegen das Bestehen von Steuerrückständen, da die GmbH in den letzten Jahren vor der Insolvenz ausschließlich Verluste erwirtschaftet habe. Zum anderen sei der Ansatz einer Haftungsquote von 75 % willkürlich und unrealistisch. Schließlich habe der Beklagte das ihm eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt. Mit Bescheid vom 9.6.2015 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er hielt sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach an der Haftungsinanspruchnahme fest.

Offensichtlich blieb der Beklagte in Unkenntnis darüber, dass das Amtsgericht C. kurze Zeit nach Erlass des Haftungsbescheids, nämlich am 13.12.2005, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet hatte. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wurde dem Kläger mit Beschluss vom 18.1.2012 antragsgemäß Restschuldbefreiung erteilt (§ 300 InsO).

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Haftungsbescheids. Er hält die Voraussetzungen des Haftungstatbestands nach § 69 AO nach wie vor für nicht gegeben. Im Wesentlichen beruft er sich allerdings darauf, dass der geltend gemachte Haftungsanspruch aufgrund der zwischenzeitlich gewährten Restschuldbefreiung nicht mehr durchsetzbar und deshalb rechtswidrig sei.

Es sei dem Beklagten – wie auch jedem anderen Insolvenzgläubiger – verwehrt, sich noch nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens und Gewährung der Restschuldbefreiung einen Titel zu erwirken, obwohl die Möglichkeit bestanden habe, die geltend gemachte Haftungsforderung während des laufenden Insolvenzverfahrens zur Insolvenztabelle anzumelden. Insbesondere dürfe es demjenigen Gläubiger, der seine Ansprüche nicht zur Tabelle angemeldet hat, nicht zum Vorteil gereichen, dass er im Zuge der Verteilung lediglich quotal befriedigt worden wäre. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung gebe es für die Insolvenzgläubiger kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, ihre (vermeintlichen) Forderungen – soweit sie weder tituliert waren/sind noch zur Insolvenztabelle angemeldet und dort festgestellt wurden – im Rahmen eines neuerlichen gesonderten Prozesses geltend zu machen.

Der Beklagte könne mit der Titulierung des behaupteten Haftungsanspruchs „nichts anfangen”, der Titel sei wirtschaftlich sinnlos, da hieraus wegen der Restschuldbefreiung u.a. nicht vollstreckt werden dürfe. Deshalb fehle es dem Beklagten an einem Rechtsschutzbedürfnis (für eine Titulierung). Dies gelte auch, wenn zwar vor der Insolvenzeröffnung ein Titel (Haftungsbescheid) erwirkt wurde, gegen diesen aber Einspruch erhoben und das Einspruchsverfahren nicht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wurde.

Wegen der erteilten Restschuldbefreiung habe der Beklagte aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –) keinen Anspruch auf Erteilung eines Titels; analog zu § 371 BGB hätte der Beklagte einen solchen umgehend wieder herauszugeben. Dies ergebe sich aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung (u.a. Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 14.7.2008 II ZR 132/07).

Er, der Kläger, sei auch – anders als der Beklagte meint – klagebefugt i.S. von § 40 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO). Diese Befugnis ergebe sich ...

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