Entscheidungsstichwort (Thema)

Vater als Familienangehöriger i.S. des Art. 73 EWGV

 

Leitsatz (redaktionell)

Lebt die vom Vater geschiedene und wiederverheiratete Mutter mit den gemeinsamen Kindern in einem anderen EU-Staat, ist der Vater Familienangehöriger seiner Kinder i.S. des Art. 73 EWGV; er hat folglich Anspruch auf (Teil-)Kindergeld für seine Kinder.

 

Normenkette

VO(EWG) Nr. 1408/71 Art. 73; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 1 Buchst. f Ziff. i, Nr. 574/72 Art. 10; EStG § 65 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger lebt zusammen mit seiner jetzigen Ehefrau in Deutschland. Aus der Ehe sind zwei in den Jahren 2000 und 2004 geborene Töchter (C und M) hervorgegangen, für die der Kindergeldanspruch unstreitig besteht. Außerdem hat der Kläger zwei in den Jahren 1993 und 1995 geborene Söhne aus geschiedener erster Ehe (T und F). Diese leben bei der inzwischen wieder verheirateten damaligen Ehefrau des Klägers, Frau S, …, Niederlande. Frau S hat dort 1999 einen Niederländer geheiratet, mit dem sie inzwischen ebenfalls ein weiteres Kind hat. Frau S bezieht in den Niederlanden für die Söhne des Klägers und ihr drittes Kind Kindergeld, und zwar für T 83,84 EUR und F 71,49 EUR monatlich. Der Kläger zahlt unstreitig Unterhalt für seine Söhne an seine geschiedene Frau.

Mit einem im April 2004 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger auch für seine Söhne Teilkindergeld und außerdem deren Berücksichtigung als Zählkinder. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Juni 2004 mitgeteilt hatte, das seine Söhne als Zählkinder berücksichtigt werden könnten, berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2004 das dem Kläger monatlich zustehende Kindergeld für die Monate ab Januar 2004 wie folgt:

T

70,16 EUR (154 EUR ./. 83,84 EUR niederländ. Kindergeld)

F

82,51 EUR (154 EUR ./. 71,49 EUR niederländ. Kindergeld)

C

154,00 EUR

M

179,00 EUR

485,67 EUR

Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, die vorgenannten Unterschiedsbeträge zum niederländischen Kindergeld stünden ihm als Teilkindergeld auch für die Monate seit November 1996 zu (Trennung von seiner damaligen Ehefrau und deren Umzug in die Niederlande). Die Berechnung des Unterschiedsbetrags selbst ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2004 wurde die Festsetzung des Kindergelds für die Söhne des Klägers ab November 2004 auf der Grundlage von § 70 Abs. 3 EStG aufgehoben. Die Festsetzung des Teilkindergelds für die Söhne des Klägers sei mangels Kindergeldanspruchs rechtswidrig gewesen. Der Kläger sei zwar dem Grunde nach eine anspruchsberechtigte Person, gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG werde Kindergeld jedoch nicht für Kinder gewährt, wenn – wie im Streitfall – dort vergleichbare Leistungen gewährt würden. Deshalb sei auch eine Berücksichtigung als Zählkinder nicht möglich. Auch eine Zahlung von Teilkindergeld sei ausgeschlossen, da der Kläger nicht als Familienangehöriger Art. 4, Art. 13 Abs. 1 und 2 Buchst. b, Art. 73 und Art. 76 der EWGV Nr. 1408/71 i.V.m. Art 10 der EWGV Nr. 574/72 anzusehen sei. Familienangehöriger seien nach Art. 1 Buchst. f Ziffer i der Verordnung zwar geschiedene, nicht aber wiederverheiratete Ehegatten. Gleichzeitig lehnte die Beklagte der Antrag des Klägers auf Festsetzung und Nachzahlung der noch nicht verjährten Beträge ab.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2004) erhobenen Klage macht der Kläger geltend, ihm stehe entsprechend den Verordnungen EWG Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 der Unterschiedsbetrag zwischen dem niederländischen und dem deutschen Kindergeld zu. Der Kläger sei als Familienangehöriger anzusehen, weil er seinen Kindern barunterhaltspflichtig sei und diese Pflicht auch erfülle. Soweit der Beklagte meine, Familienangehöriger seien zwar geschiedene, nicht aber wiederverheiratete Ehegatten, könne sich dies nur auf das Verhältnis zwischen den Ehegatten beziehen, nicht aber auf das Verhältnis zu den gemeinschaftlichen Kindern. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 3. Februar 1983 149/82 (EuGHE 1983, 171).

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheids vom 1. Oktober 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2004

  1. das Teilkindergeld für seine Söhne für die Zeit ab November 2004 auf monatlich 152,67 EUR festzusetzen (70,16 EUR und 82,51 EUR) und diese als Zählkinder zu berücksichtigen.
  2. das Teilkindergeld für seine Söhne auch für die Monate von April 2000 bis Dezember 2003 auf monatlich 152,67 EUR festzusetzen (70,16 EUR und 82,51 EUR) und diese als Zählkinder zu berücksichtigen (v.u.g.).

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Er bezieht sich im Wesentlichen auf seine Begründung im Vorverfahren und nimmt ergänzend Bezug auf das EuGH-Urteil vom 3. Februar 1983 149/82 (EuGHE 1983, 171). Darüber hinaus beruft sich die Beklagte auf die Geschäftsanweisung 76/02 vom 3. Dezember 2002 über die Gewährung von Kindergeld i.V.m. zwischenstaatlichen Rechtsvorschriften. Diese Geschäf...

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