Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Auslegung von Verfahrenserklärungen. Antrag auf Gewährung von Kindergeld

 

Normenkette

EStG §§ 33, 33 Abs. 1; EStG § Abs. 32 Abs. 4 Ziff. 2 Buchst. a; EStG §§ 64, 66 Abs. 2-3; BGB § 133

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld.

Die Klägerin hat zwei Kinder (A, geb. am … 1972, und B, geb. am … 1975), die in ihrem Haushalt leben. Für diese bezog der geschiedene Ehemann der Klägerin und Kindesvater mit ihrer Zustimmung laufend Kindergeld bis Dezember 1995. Mit dem Kindesvater gegenüber ergangenen Bescheid vom 26. 3. 1996 hob der Beklagte die Bewilligung für Kindergeld ab Januar 1996 mit der Begründung auf, dass Kindergeld gemäß § 64 Abs. 2 EStG demjenigen zustehe, in dessen Haushalt die Kinder lebten.

Hiergegen legte der geschiedene Ehemann der Klägerin Einspruch ein, der bei der Beklagten am 29. 4. 1996 einging. In diesem Schreiben bestätigte die Klägerin, „dass das Kindergeld weiter an ihren geschiedenen Ehemann gezahlt werden sollte.” Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 1997, jeweils zur Post gegeben am 29. Juli 1997, wies der Beklagte die Einsprüche des geschiedenen Ehemannes der Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 4. 8. 1997 beantragte die Klägerin nunmehr selbst Kindergeld für ihre beiden Kinder A und B. Mit Bescheid vom 8. 9. 1997 wurde dem Antrag für die beiden Kinder ab Februar 1997 entsprochen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch mit Schreiben vom 11. 9. 1997 ein und führte zur Begründung aus:

Nach dem Scheidungsurteil sollte das Kindergeld an ihren geschiedenen Ehemann gezahlt werden. Deshalb habe sie auch in dem Einspruchsverfahren ihres geschiedenen Ehemannes bestätigt, dass diesem das Kindergeld gezahlt werden sollte. Somit habe für sie kein Anlass bestanden, selbst Kindergeld zu beantragen. Dieses sei erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung der Fall gewesen. Aus der verzögerlichen Bearbeitung dieses Einspruchsverfahrens durch die Kindergeldkasse dürfe ihr kein Nachteil erwachsen. Sie beantrage Kindergeld ab Januar 1996.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Schreiben der Beklagten vom 22. 7. 1996, in dem die Klägerin auf das Erfordernis einer eigenen Antragstellung unter Beifügung der Antragsformulare hingewiesen worden ist, der Klägerin zeitnah bekannt gegeben wurde oder sie dieses erst mit einem weiteren Schreiben der Beklagten vom 20. 11. 1997 erhalten hat.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 1997 wies die Beklagte den Einspruch zurück und begründete dies wie folgt:

Kindergeld für B und A habe erst ab Februar 1997 bewilligt werden können, da der für die Bewilligung erforderliche Antrag erst im August 1997 bei der Familienkasse eingegangen sei und nur sechs Monate zurückwirke (§ 66 Abs. 3 EStG i.d.F. v. 18. 12. 1995 – BGBl – I S. 1959).

Auf die Frage, ob und inwieweit die späte Antragstellung von der Klägerin ganz oder teilweise zu verantworten sei, komme es nicht an, entscheidend sei allein der objektive Eingangszeitpunkt des Antrages.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 29. Oktober 1997, beim Finanzgericht eingegangen am 4. 11. 1997, Klage und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

Die Klägerin habe das Schreiben der Beklagten erst zusammen mit dem weiteren Schreiben vom 20. 11. 1997 erhalten. Erst zu diesem Zeitpunkt sei sie dahingehend belehrt worden, dass sie selbst einen gesonderten Antrag zu stellen habe.

Die Klägerin sei wegen des vorangegangenen langjährigen Einspruchsverfahrens, das ihr geschiedener Ehemann eingeleitet hatte, davon ausgegangen, dass im Falle des negativen Ausgangs dieses Verfahrens sie selbst das Kindergeld erhalten werde. Durch den auch durch die Klägerin unterzeichneten Widerspruch in dem genannten Verfahren habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie selbst Kindergeld für die in Rede stehenden Kinder beantrage. Das Schreiben vom 24. 3. 1996 sei entsprechend auszulegen.

Wäre die Klägerin seitens der Beklagten zuvor auf die nochmalige konkrete Antragstellung hingewiesen worden, hätte sie natürlich einen entsprechenden Antrag gestellt. Den entsprechenden Hinweis habe sie aber letztlich erst durch das Schreiben der Beklagten vom 20. 11. 1997 erhalten.

Vor dem vorstehend geschilderten Hintergrund sei es aus Billigkeitsgründen geboten, das Schreiben der Klägerin vom 24. 4. 1996 als eigenen Antrag auf Zahlung von Kindergeld auszulegen.

Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht über die gesetzliche Veränderung betreffend der Zahlung des Kindergeldes an denjenigen, bei dem die Kinder leben, informiert worden sei, sondern nur ihr geschiedener Ehemann. Es wäre ein ordnungsgemäßes Verhalten der Beklagten gewesen, wenn diese zumindest gleichzeitig den geschiedenen Ehemann und die Klägerin selbst über die veränderten Umstände informiert hätte.

Die Beklagte hätte das rechtliche Interesse der Klägerin an dem Einspruchsverfahren des geschiedenen Ehemannes erkennen müssen, sie zum Verfahren hinzuziehen und sie entsprechend bescheiden müssen. Die Klägerin sei so zu st...

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