Entscheidungsstichwort (Thema)

EuGH-Vorlage: Beweislastverteilung im Rahmen der Vertrauensschutzbestimmung in Art. 220 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 3 ZK

 

Leitsatz (amtlich)

Ist unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen, dass die Behörde des Drittlandes nicht mehr überprüfen kann, ob die von ihr ausgestellte Bescheinigung auf einer richten Darstellung der Fakten beruht, dem Abgabenschuldner die Berufung auf Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 lit. b) Unterabsatz 2 und 3 ZK zu versagen, wenn die Umstände hinsichtlich der Nichtaufklärbarkeit der inhaltlichen Richtigkeit der Ursprungsbescheinigung in die Sphäre des Ausführers fallen, oder setzt der Übergang der Beweislast im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 lit b) Unterabsatz 3 erster Teil ZK von der Zollbehörde auf den Abgabenschuldner lediglich bzw. vielmehr voraus, dass die Nichtaufklärbarkeit ihre Ursache außerhalb der Sphäre der Behörde des Ausfuhrlandes bzw. in einer allein dem Ausführer zuzurechnenden Nachlässigkeit hat?

 

Normenkette

ZK Art. 220; ZKDV Art. 94

 

Nachgehend

EuGH (Urteil vom 08.11.2012; Aktenzeichen C-438/11)

 

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Nacherhebung von Einfuhrabgaben durch das beklagte Hauptzollamt.

Die Klägerin ließ in der Zeit von Februar bis September 2007 mit mehreren Zollanmeldungen Schuhe in den zollrechtlich freien Verkehr der Europäischen Union überführen. Als Ursprungsland der Waren war Macau angegeben, als Beleg für den Ursprung waren den Anmeldungen jeweils Ursprungszeugnisse nach Formblatt A beigefügt, die die Firma S. bzw. V. als Hersteller und Macau als Ursprungsland auswiesen. Das beklagte Hauptzollamt akzeptierte jeweils die beantragte Präferenzbehandlung und erhob lediglich den Präferenzzoll auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 980/2005 des Rates vom 27.06.2005 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen (ABl. Nr. L 169/1).

Nach Hinweisen, dass für bestimmte Waren mit Ursprung in China zur Umgehung einer zusätzlichen Einfuhrabgabe zu Unrecht Macau als Ursprungsland angeben worden sei, veranlasste das beklagte Hauptzollamt die Einleitung von Nachprüfungsersuchen gemäß Art. 94 ZK-DVO. Die zuständige Behörde in Macau bestätigte in der Folge bezüglich der von der Klägerin eingereichten Ursprungszeugnisse ihre Urheberschaft und damit die Echtheit der vorgelegten Bescheinigungen, teilte aber auf weitere Nachfrage der deutschen Behörden mit, die inhaltliche Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigungen nicht mehr überprüfen zu können, weil die in den Ursprungszeugnissen genannten Ausführer ihre Produktion eingestellt und ihren Betrieb geschlossen hätten; die von der Klägerin vorgelegten Ursprungszeugnisse wurden von der Behörde in Macau nicht für ungültig erklärt.

Mit drei Einfuhrabgabenbescheiden vom 21., 22. bzw. 25.08.2008 forderte das beklagte Hauptzollamt daraufhin unter Hinweis auf Art. 220 Abs. 1 Zollkodex die Differenz zwischen dem Präferenzzollsatz (3,5 %) und dem regulären Zollsatz (7 %) mit der Begründung nach, dass eine nachträgliche Überprüfung der Präferenznachweise keine Bestätigung des angegebenen Ursprungs der Waren ergeben habe.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage beruft sich die Klägerin vor allem auf Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK. Die Schließung der Herstellungsbetriebe und die dadurch bedingte Nichtnachprüfbarkeit der Präferenznachweise stelle für sie als Einführer ein unvorhersehbares Ereignis und einen Akt höherer Gewalt dar. Die Betriebsschließungen seien durch die Ausweitung der Antidumpingmaßnahmen auf die aus Macau versandten Waren verursacht oder doch befördert worden. Ihre Folgen habe sie trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden können.

Die Klägerin beantragt,

die drei Einfuhrabgabenbescheide vom 21., 22. und 25.08.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 01.02.2010 aufzuheben.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verteidigt die angefochtenen Bescheide und betont u. a., dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK einer Nacherhebung nicht entgegenstehe, weil davon ausgegangen werden müsse, dass die Ausstellung der Ursprungsnachweise auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten durch den Ausführer beruhe. Insoweit obliege es dem Einführer, den Beweis für eine richtige Darstellung der Fakten zu erbringen, weil die Nichtverfügbarkeit der erforderlichen Unterlagen infolge der Betriebsschließung dem Verantwortungsbereich des Ausführers und damit der Sphäre des Einführers zuzurechnen sei. Da dieser Beweis nicht erbracht worden sei, müsse von einer unrichtigen Darstellung der Fakten ausgegangen werden.

II.

Der beschließende Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor genannte Frage zur Vorabentscheidung vor. Denn die rechtliche Würdigung des Falles ist unionsrechtlich zweifelhaft.

1. Rechtlicher Rahmen

Nach Ansicht des beschließenden Senats sind ...

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